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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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einnahm: Hände in der Kulle gefaltet, Kinn gesenkt, ohne Augenkontakt.
    »Mit der Farbe des Drachen hat es nichts zu tun«, protestierte ich. »Es gibt keine Nervengas furzenden Drachen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Es wurde noch nie einer gesehen.«
    »Ich wurde auch noch nie beim Verlassen des Konzents gesehen – und trotzdem machst du dir deswegen Sorgen.«
    »Also gut. Neue Version: Die ganze Vorstellung von einem solchen Drachen ist in sich widersprüchlich. So etwas hat es in der
Evolution noch nicht gegeben. Vermutlich gibt es nirgendwo in der Natur Stoffwechselwege, die Nervengas erzeugen könnten. So große Tiere können wegen grundlegender Skalierungsgesetze nicht fliegen. Und so weiter.«
    »Hm, alle möglichen Gründe aus Biologie, Chemie, Theorik … Dann gehe ich davon aus, dass die Dards, die von all diesen Dingen nichts wissen, sich permanent Sorgen wegen rosafarbener, Nervengas furzender Drachen machen müssen?«
    »Vermutlich könntest du ihnen diese Sorgen einreden. Aber nein, es gibt … es gibt einen Filter, der wirksam wird …« Ich dachte einen Moment darüber nach und warf Jesry einen Blick zu, der ihn einlud, sich zu uns zu gesellen. Bald darauf nahm er die Hände aus seinem Umhang und machte einen Schritt auf uns zu. »Wenn rosafarbene dir Sorgen machten«, gab er zu bedenken, »müssten es auch blaue, grüne, schwarze, gesprenkelte und gestreifte tun. Und nicht nur Nervengasfurzer, sondern auch Bombenwerfer und Feuerspeier.«
    »Nicht nur Drachen, sondern auch Würmer, Riesenschildkröten, Echsen …«, fügte ich hinzu.
    »Und nicht nur physikalische Entitäten, sondern auch Götter, Geister und so weiter«, sagte Jesry. »Sobald du die Tür weit genug öffnest, um rosafarbene, Nervengas furzende Drachen hereinzulassen, wirst du all diese anderen Möglichkeiten auch hereinlassen müssen.«
    »Warum machst du dir dann nicht wegen allen Sorgen?«, fragte Fraa Orolo.
    »Ich tue das!«, behauptete Arsibalt, der uns hatte reden sehen und aus Neugier herübergekommen war.
    »Fraa Erasmas«, sagte Orolo, »du hast vor einer Minute geäußert, man könne Dards Furcht vor einem rosafarbenen, Nervengas furzenden Drachen einreden. Wie würdest du das anstellen?«
    »Tja, ich bin kein Prokier. Aber wenn ich einer wäre, würde ich den Dards vermutlich irgendeine überzeugende Geschichte erzählen, aus der hervorginge, woher die Drachen gekommen wären. Und am Ende wären sie äußerst besorgt. Wenn Jesry sie aber lauthals vor einer gestreiften, feuerspeienden Schildkröte warnte, würden sie ihn in die Klapsmühle bringen!«
    Alle lachten – sogar Jesry, der Witze auf seine Kosten in der Regel nicht leiden konnte.

    »Was würde deine Geschichte überzeugend machen?«, fragte Orolo.
    »Nun, sie müsste in sich schlüssig sein. Und außerdem eine logische Verbindung zu allem haben, was jeder Dard über die reale Welt weiß.«
    »Wie das?«
    Lio und Tulia waren auf dem Weg in die Küche des Refektoriums, wo sie mit der Zubereitung des Abendessens dran waren. Lio, der die letzten paar Sätze vernommen hatte, klinkte sich ein: »Du könntest behaupten, Sternschnuppen seien Drachenfurze, die angezündet worden seien!«
    »Sehr gut«, sagte Orolo. »Dann würde ein Dard jedes Mal, wenn er zum Himmel aufschaute und eine Sternschnuppe entdeckte, den Mythos vom rosafarbenen Drachen bestätigt sehen.«
    »Und er könnte Jesry widerlegen«, bemerkte Lio, »indem er sagte: ›Du Idiot, was haben gestreifte feuerspeiende Schildkröten mit Sternschnuppen zu tun?‹« Wieder lachten alle.
    »Das stammt direkt aus den späteren Schriften des Saunt Evenedrik«, sagte Arsibalt.
    Alle verstummten. Wir hatten gedacht, wir wären einfach ausgelassen, bis jetzt. »Fraa Arsibalt überspringt einiges«, sagte Orolo in einem vorsichtig protestierenden Ton.
    »Evenedrik war ein Theor«, gab Jesry zu bedenken. »Das ist nicht die Art von Zeug, über das er geschrieben hätte.«
    »Ganz im Gegenteil«, sagte Arsibalt und pflanzte sich auf, »später in seinem Leben, nach der Rekonstitution, hat er …«
    »Du erlaubst?«, sagte Orolo.
    »Aber selbstverständlich«, erwiderte Arsibalt.
    »Wenn wir uns auf Nervengas furzende Drachen beschränken, was meint ihr, wie viele Farben wir unterscheiden könnten?«
    Die Meinungen variierten zwischen acht und hundert. Tulia dachte, man könnte mehr unterscheiden, Lio weniger.
    »Sagen wir zehn«, entschied Orolo. »Und nun nehmen wir gestreifte Drachen mit wechselnden

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