Anathem: Roman
heiklen Momenten an
die Oberfläche kam – und Barb war ein sprudelnder Quell heikler Momente.
»Das würde die Schließung des Sternrunds erklären«, sagte Arsibalt. »Nehmen wir, rein theorisch, einmal an, dass die Säkulare Macht sich in zwei oder mehr Lager aufgespalten hat – die sich vielleicht für einen Krieg bewaffnen. Das eine könnte einen Aufklärungssatelliten in eine polare Umlaufbahn geschickt haben.«
»Oder mehrere davon«, sagte Jesry, »ich hatte nämlich den Eindruck, Berechnungen für mehr als ein Objekt zu machen.«
»Könnte es ein Objekt gewesen sein, das hin und wieder seine Umlaufbahn änderte?«, fragte Tulia.
»Unwahrscheinlich. Die Verlegung der Umlaufbahn eines Objekts von einer Ebene in eine andere verlangt eine Menge Energie – fast so viel wie der Start eines Satelliten«, erklärte Lio.
Aller Augen richteten sich auf ihn.
»Spionagesatellitenthade«, sagte er verlegen, »aus einem Buch über Weltraumkriege, das aus dem Praxischen Zeitalter stammt. Ebenenwechselmanöver sind teuer!«
»Ein Satellit in einer polaren Umlaufbahn braucht seine Ebene gar nicht zu wechseln!«, schnaubte Barb. »Wenn er nur lange genug wartet, kann er alle Teile von Arbre sehen.«
»Es gibt einen wichtigen Grund, weshalb Jesrys These mir gefällt«, sagte ich. Alle drehten sich zu mir um und schauten mich an. Ich hatte noch nicht viel gesagt. Aber in den Wochen seit dem Anathem war ich in den Augen der anderen allmählich zu einer Autorität in Sachen Orolo geworden. »Orolos Verhalten in den Tagen unmittelbar vor der Apert deutet darauf hin, dass er von bevorstehenden Schwierigkeiten wusste. Was immer er gesehen hatte, er wusste, dass es ein säkulares Ereignis war und dass die Hierarchen ihn, sobald sie es herausfänden, an einer weiteren Beobachtung hindern würden. Hätte es sich lediglich um einen Felsbrocken gehandelt, wäre das nicht der Fall gewesen.«
Damit schloss ich mich nur dem allgemeinen Konsens an. Die meisten anderen nickten. Ausgerechnet Arsibalt schien meine Worte jedoch als Herausforderung zu betrachten. Er räusperte sich und formulierte eine Erwiderung, als befänden wir uns in einem Dialog. »Was du gesagt hast, Fraa Erasmas, klingt so weit plausibel, aber sehr weit geht es eben nicht. Seit für Orolo das Anathem geläutet wurde, fällt es uns leicht, uns an ein Bild von ihm als einem Unzufriedenen
zu gewöhnen. Aber hättest du ihn vor der Apert als solchen erkannt?«
»Ich verstehe genau, was du meinst, Fraa Arsibalt. Wir brauchen keine Zeit damit zu vergeuden, alle, die hier um das Feuer stehen, zu befragen. Orolo hat sich der Regel genauso gern unterworfen wie jeder andere Avot, der je gelebt hat.«
»Aber der Start eines neuen Aufklärungssatelliten ist eindeutig ein säkulares Ereignis, oder?«
»Ja.«
»Außerdem gibt es, da diese Art von Praxik schon seit Jahrtausenden bekannt ist – so lange, dass Fraa Lio in alten Büchern davon lesen kann -, nichts Neues, was Orolo hätte erfahren können, indem er einen solchen Satelliten entdeckte, stimmt’s?«
»Vermutlich nicht – solange dieser nicht irgendeine neu entwickelte Praxik verkörpert.«
»Aber solch eine neue Praxik wäre auch ein säkulares Ereignis, oder?«, warf Tulia ein.
»Ja, Suur Tulia. Und deshalb für den Avot nicht von Belang.«
»Wenn wir also von der Prämisse ausgehen«, sagte Arsibalt, »dass Fraa Orolo ein echter Avot war, der die Regel respektierte, können wir nicht gleichzeitig annehmen, dass das Ding, das er am Himmel sah, ein kürzlich von Arbre aus ins All geschossener Satellit war.«
»Denn ein solches Ding«, vervollständigte Lio den Gedanken, »hätte er als uninteressant für uns identifiziert.«
Das alles war plausibel, brachte uns aber keinen Schritt weiter. Jedenfalls nicht in eine Richtung, in die wir zu gehen bereit waren .
Außer Barb. »Deshalb muss es ein außerarbrisches Raumschiff sein.«
Jesry holte tief Luft und stieß einen lauten Seufzer aus. »Erinnere mich daran, Fraa Tavener«, sagte er unter Verwendung von Barbs Avotname, »dass ich dir später in der Bibliothek ein paar Forschungsarbeiten zeige, aus denen hervorgeht, wie unwahrscheinlich das ist.«
»Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich«, schoss Fraa Tavener zurück. Jesry seufzte erneut.
»Fraa Jesry«, sagte ich, wobei es mir gelang, seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und ihm einen schiefen Blick zuzuwerfen – genau die Art von Zeichen, die Barb gar nicht wahrnahm. »Fraa Tavener scheint
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