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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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reiche Familie maschinengedruckte Exemplare gehabt hätte«, sagte Jesry.
    »Zu gewöhnlich«, sagte Tulia. »Aber ich weiß den Titel: Pluralität der Welten: eine vergleichende Studie über die polykosmische Ideenbildung unter den Halikaarniern .«
    »Hmm. Da komme ich mir vor wie ein Käfer unter dem Vergrößerungsglas eines Prokiers«, sagte ich.
    »Baritoe ist prokierdominiert«, erinnerte mich Tulia. »Hätte sie als Titel für ihre Arbeit Warum die Halikaarnier so viel klüger sind als wir gewählt, hätte kein Mensch sie gelesen.« Zu spät dachte ich daran, dass Tulia jetzt einem prokischen Orden angehörte.
    »Sie interessierte sich also für den Polykosmos«, sagte Jesry, bevor
das Ganze sich zu einer Kabbelei auswuchs. »Was konnte geschehen sein, das vom Sternrund aus zu beobachten war und den Polykosmos ins Spiel brachte?« Das war die Art von Fragen, die Jesry nie stellen würde, wenn er die Antwort nicht schon parat hätte, die er auch prompt lieferte: »Ich wette, dass irgendetwas mit der Sonne schiefgegangen ist.«
    Ich hatte schon eine spöttische Bemerkung auf den Lippen, verkniff sie mir aber, als mir wieder einfiel, dass Sammann ja letztlich in die Sonne geschaut hatte. »Etwas, was mit dem bloßen Auge zu sehen ist?«
    »Sonnenflecken. Sonneneruptionen. Die können zum Beispiel unser Wetter beeinflussen. Und spätestens seit dem Praxischen Zeitalter schützt die Atmosphäre uns nicht mehr vor bestimmten Dingen.«
    »Tja, wenn sich aber eigentlich dort alles abspielt, warum hat Orolo dann zum Nordpol geschaut?«
    »Das Nordlicht«, sagte Jesry, als wüsste er wirklich, wovon er sprach. »Es reagiert auf Sonneneruptionen.«
    »Wir hatten aber diese ganze Zeit über kein einziges ordentliches Nordlicht«, bemerkte Tulia mit einem katzenartigen Ausdruck der Genugtuung im Gesicht.
    »Das wir mit bloßem Auge hätten sehen können«, gab Jesry zurück. »Unsere Tafel hier könnte das perfekte Instrument sein, um nicht nur Nordlichter, sondern die Sonnenscheibe selbst zu beobachten.«
    »Aha, jetzt, wo sie zu etwas gut ist, ist sie ›unsere‹ Tafel«, merkte ich an.
    »Wenn Suur Trestanas sie findet, wird sie wieder ›deine‹ sein«, sagte Tulia. Sie und ich lachten, aber Jesry war überhaupt nicht zum Scherzen aufgelegt.
    »Im Ernst«, fuhr Tulia fort, »diese Hypothese erklärt nicht, warum sie Paphlagon evoziert haben. Sonneneruptionen kann jeder Kosmograph beobachten.«
    »Du möchtest wissen, wo die Verbindung zum Polykosmos liegt?«, sagte Jesry.
    »Genau.«
    »Vielleicht gibt es gar keine«, mutmaßte ich, »vielleicht brauchte Ignetha Foral einfach einen Kosmographen und erinnerte sich zufällig an Paphlagons Namen.«

    »Vielleicht wurde sie als Ketzerin verfolgt, und Paphlagon haben sie herausgezerrt, um ihn gleich mit zu verbrennen«, schlug Jesry vor. Wir plauderten ein paar Minuten über solche Ideen, bevor wir sie alle zugunsten der These verwarfen, dass Paphlagon aus gutem Grund ausgewählt worden sein musste.
    »Nun«, begann Jesry, »die Theoren früherer Zeiten fanden sich zum ersten Mal im Gespräch über den Polykosmos wieder, als sie eigentlich über Sterne nachdachten: darüber, wie sie entstanden und was in ihnen vor sich ging.«
    »Bildung von Nuklei und so weiter«, sagte Tulia.
    »Und nicht nur das, auch die Frage, wie diese Nuklei, wenn die Sterne sterben, ins All hinauskatapultiert werden, damit sie Planeten bilden können und …«
    »Und uns«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Jesry. »Das führt zu der Frage, warum all diese Prozesse so fein aufeinander abgestimmt sind, um Leben zu erzeugen. Eine schwierige Frage. Deolatisten würden sagen: ›Daran siehst du, dass Gott den Kosmos ganz genau für uns gemacht hat.‹ Die polykosmische Antwort dagegen würde lauten: ›Nein, es muss noch viele andere Kosmen geben, von denen manche für Leben geeignet sind, die meisten jedoch nicht – wir sehen nur den Kosmos, in dem wir zu existieren vermögen.‹ Und hier hat das ganze philosophische Zeug, das Suur Aculoä gerne studiert, seinen Ursprung.«
    »Ich glaube, ich weiß jetzt, worauf du hinauswillst, wenn du vermutest, dass mit der Sonne irgendetwas schiefgelaufen ist«, sagte ich. »Vielleicht gibt es neue Sonnenbeobachtungen, die im Widerspruch zu dem stehen, was wir über die Theorik der Vorgänge im Innersten von Sternen zu wissen glaubten. Und das hat vielleicht Auswirkungen, die sich bis in jene Polykosmostheorien erstrecken, mit denen Paphlagon sich

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