Anathem: Roman
Dotat, wenn Arsibalt uns das nächste Mal das Zeichen gibt.«
Wie sich herausstellte, war das nur vier Stunden später. Alles lief bestens – oberflächlich betrachtet. Arsibalt gab uns das Zeichen. Jesry und ich nahmen es an verschiedenen Orten wahr und trafen uns an Shufs Dotat. Niemand außer Arsibalt war da. Jesry und ich gingen nach unten und machten uns an die Arbeit.
In jeder anderen Hinsicht lief es jedoch von Anfang an schief. Immer wenn ich zu Shufs Dotat ging, machte ich einen Umweg durch den hinteren Teil des Seitenbaumwäldchens. Ich nahm nie
zwei Mal denselben Weg. Jesry dagegen überquerte einfach die Brücke und steuerte dann schnurstracks auf unseren Treffpunkt zu. Ich konnte aber nicht einmal sagen, dass sein Weg schlechter war als meiner, denn an diesem Tag begegnete ich nicht weniger als vier verschiedenen Leuten oder Gruppen von Leuten, die spazieren gingen und das schöne Wetter auskosteten. Nur einen Steinwurf vom Dotat entfernt stolperte ich fast über Suur Tary und Fraa Branch, die, ganz in ihre beiden Kullen gehüllt, einen Moment trauter Zweisamkeit genossen.
Als ich schließlich das Gebäude erreichte, hatte ich vor, das Ganze abzusagen. Aber Jesry wollte nicht wieder umkehren. Er überredete mich dazu, hinunterzugehen, während Arsibalt uns mit wachsendem Entsetzen zuschaute, den Blick abwechselnd auf das Fenster und die Tür gerichtet. Also stiegen wir hinunter und quetschten uns in diesen kleinen Raum, in dem ich so viele Stunden allein verbracht hatte. Mit ihm war es jedoch nicht dasselbe. Ich hatte mich an die geometrische Verzerrung durch das Objektiv gewöhnt; er nicht, weshalb er viel Zeit darauf verwandte, verschiedene Dinge heranzuzoomen, um sie richtig erkennen zu können. Es war nichts anderes als das, was ich bei meinen ersten paar Sitzungen mit der Tafel gemacht hatte, und trotzdem hätte ich schreien können. Er schien nicht zu verstehen, dass wir dafür keine Zeit hatten. Wenn er auf etwas wirklich Interessantes stieß, sprach er viel zu laut. Wir mussten beide einmal hinausgehen, um Wasser zu lassen; ich musste ihm erklären, was es mit dem »Alles klar!«-Zeichen an der Tür auf sich hatte.
Mir war, als wären zwei oder drei Stunden vergangen, bevor wir überhaupt dazu kamen, die Sonne zu beobachten. Die Tafel funktionierte dafür genauso gut wie für die Beobachtung entfernter Sterne. Sie konnte nur ein bestimmtes Maß an Licht erzeugen, und so erschien die Sonne nicht als blendender thermonuklearer Feuerball, sondern als Scheibe mit sprödem Rand – gewiss das Allerhellste auf der Tafel, aber nicht so hell, dass man es nicht hätte anschauen können. Wenn man sie heranzoomte und die Helligkeit reduzierte, konnte man Sonnenflecken beobachten. Ob es außergewöhnlich viele waren, konnte ich wirklich nicht sagen. Und Jesry genauso wenig. Indem wir die Sonnenscheibe verdunkelten, konnten wir ihre Umgebung beobachten und nach Sonneneruptionen absuchen, aber soweit wir sehen konnten, passierte dort nichts.
Allerdings war auch keiner von uns ein Fachmann auf diesem Gebiet. Bisher hatten wir der Sonne nie besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt, sondern sie als verhassten, unberechenbaren Stern betrachtet, der uns bei der Beobachtung aller anderen Sterne störte.
Nachdem wir, mutlos geworden, zu der Überzeugung gelangt waren, dass die These über Sammann und die Schutzbrille falsch war und dass wir den ganzen Nachmittag vergeudet hatten, wollten wir den Raum verlassen, fanden jedoch die Tür am oberen Treppenabsatz verschlossen vor. Es war noch jemand im Gebäude und deshalb gefährlich hinauszugehen.
Wir warteten eine halbe Stunde. Vielleicht hatte Arsibalt die Tür irrtümlich zugemacht. Ich schlich nach oben und legte ein Ohr daran. Er führte ein Gespräch mit jemandem, und je länger ich ihren gedämpften Stimmen lauschte, umso sicherer wurde ich, dass die andere Person Suur Ala war. Sie hatte uns hier aufgespürt!
Als ich hinunterkam, um ihm diese Neuigkeit zu berichten, hatte Jesry wenig Schmeichelhaftes über sie zu sagen. Eine halbe Stunde später war sie immer noch da. Wir kamen fast um vor Hunger. Arsibalt musste geradezu tierische Angst verspüren.
Offensichtlich war unser Geheimnis, jetzt oder in Kürze, zumindest einer Person bekannt. Während wir dort wie Ratten in der Falle in der Dunkelheit hockten, hatten wir mehr als genug Zeit, über die Folgen nachzudenken. Weiterzumachen, als wäre nichts geschehen, wäre sinnlos. Also hoben wir, da wir
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