Anathem: Roman
nichts anderes zu tun hatten, die Polyplane vom Boden auf und wickelten die Tafel hinein. Dann bugsierten und quetschten wir uns in die entfernteste Ecke, die wir finden konnten – die äußerste Grenze von Arsibalts Erkundungsarbeiten – und benutzten seine Schaufel, um die Tafel vier Fuß tief zu vergraben. Als wir mit diesem Projekt fertig und schön schmutzig waren, ging ich wieder hinauf, um mein Ohr an die Tür zu legen. Diesmal hörte ich keine Unterhaltung. Die Tür war jedoch immer noch zu.
»Ich glaube, Arsibalt hat zugunsten des Abendessens aufgegeben«, sagte ich zu Jesry. »Ich könnte aber wetten, dass sie immer noch da ist.«
»Es sähe ihr nicht ähnlich, an diesem Punkt zu gehen«, sagte Jesry.
»Na, das ist wohl das Netteste, was du je über sie gesagt hast.«
»Was sollten wir deiner Meinung nach tun, Raz?«
Es war merkwürdig, Jesry nach meinen Ansichten über irgendein Thema fragen zu hören. Ich kostete diese neue Erfahrung ein Weilchen aus, bevor ich sagte: »Wenn sie die Absicht hat, uns zu verpfeifen, bin ich in jedem Fall dran. Du hast dagegen noch eine Chance. Lass uns deshalb zusammen rausgehen. Du ziehst deine Kapuze über, steuerst direkt auf den Hinterausgang zu und verdrückst dich. Ich werde zu Ala gehen und mit ihr sprechen – sie wird lange genug abgelenkt sein, dass du in der Dunkelheit verschwinden kannst.«
»Abgemacht«, sagte Jesry. »Danke, Raz. Und denk dran: Wenn dein Körper das ist, was sie will …«
»Halt die Klappe.«
»Also gut, dann los jetzt«, sagte Jesry, während er sich die Kulle über den Kopf zog. Gleichzeitig schüttelte er jedoch, wie ich sehen konnte, den Kopf. »Kaum zu fassen, aber so etwas gilt hier bei uns als aufregend!«
»Vielleicht wird dein Wunsch eines Tages erfüllt und irgendwas passiert auf der Welt.«
»Ich hatte gedacht, das könnte es sein«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf das Kellergeschoss. »Aber bislang gibt es nichts als Sonnenflecken.«
Die Tür ging auf, und Licht strahlte uns an.
»Hallo Jungs«, sagte Suur Ala, »habt ihr euch verlaufen?«
Jesry hatte die Kapuze auf, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Er sprang die Treppe hoch, drängte sich an Ala vorbei und rannte auf die Hintertür zu. Ich war unmittelbar hinter ihm und stand genau in dem Moment Ala gegenüber, als ich aus der Eingangshalle einen furchtbaren Schlag hörte. Jesry lag ausgestreckt auf der Türschwelle, bedeckt von einer durcheinandergeratenen Kulle – von der Taille aufwärts.
»Du brauchst dich gar nicht zu verstecken, Jesry«, rief Ala. »Dein Lächeln würde ich überall erkennen.«
Jesry rappelte sich hoch, ließ die Kulle wieder über seinen Hintern fallen und rannte davon. Jetzt, wo meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, konnte ich sehen, dass Ala ihre Kord in Knöchelhöhe quer über die Türöffnung gespannt und zwischen zwei neben dem Ausgang stehenden Stühlen festgebunden hatte. In Ermangelung einer anderen Möglichkeit, ihre Kulle anzubehalten, hatte sie sich diese lose übergeworfen und hielt sie mit einem Arm fest. Sie
wandte mir den Rücken zu und schlurfte zu der Kord hinüber, um sie loszubinden.
»Arsibalt ist vor einer Stunde gegangen«, sagte sie. »Ich glaube, er hat die Hälfte seines Gewichts als Schweiß verloren.«
Besondere Heiterkeit löste das bei mir nicht aus, schließlich war sie ja in einer Position, in der sie, wenn sie wollte, ähnlich lustige Dinge über mich und Jesry sagen konnte.
»Hat es dir die Sprache verschlagen?«, fragte sie eine ganze Weile später.
»Wie viele Leute wissen davon?«
»Du meinst, wie vielen ich davon erzählt habe? Oder wie viele es selbst herausbekommen haben?«
»Ich vermute mal … beides.«
»Ich habe es niemandem erzählt. Was die andere Frage betrifft, dürfte die Antwort wohl lauten, jeder, der dir so viel Aufmerksamkeit schenkt wie ich, das heißt wahrscheinlich … niemand.«
»Warum solltest du mir Aufmerksamkeit schenken?«
Sie verdrehte die Augen. »Gute Frage!«
»Was willst du eigentlich, Ala? Worauf hast du es abgesehen?«
»Es gehört zu den Spielregeln, dass ich dir das nicht zu sagen brauche.«
»Falls es damit zu tun hat, dass du versuchst, eine Art Juniorregelwartin – ihr kleiner Schützling – zu sein, dann bring es hinter dich! Geh und erzähl es ihr. Ich werde bei Sonnenaufgang zum Tagestor hinausmarschieren und mich auf die Suche nach Orolo begeben.«
Als ich das sagte, wand sie sich gerade ihre Kord um. Plötzlich schien
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