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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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machte.
    Irgendwann trat ich innerlich einen Schritt von dem Ganzen zurück und nahm mir einen Moment Zeit, mich an den Mienen auf den Gesichtern meiner Freunde zu erfreuen und über alles nachzudenken, was in letzter Zeit passiert war. Und als Teil davon erinnerte ich mich wieder, dass sie Orolo ausgestoßen hatten und dass er jetzt da draußen war, irgendwo, extramuros, und versuchte, seinen Weg zu finden. Was mich traurig machte und mir sogar einen Funken der alten Wut zurückbrachte. Doch das alles hielt mich nicht davon ab, fröhlich mit meinen Freunden zu feiern. Und mein Gefühl
dabei war zum Teil prickelnde Freude über das, was mit Ala geschehen war. Zum Teil aber auch die Gewissheit, dass Ala, Tulia und ich einen Sieg über Leute wie Spelikon und Trestanas errungen hatten, die uns aus dem Sternrund ausgeschlossen und versucht hatten, die Kontrolle darüber zu bekommen, was wir wussten und worüber wir nachdachten. Wir brauchten nur einen Weg zu finden, das bekanntzumachen, der nicht zu meiner sofortigen Ausstoßung führen würde. Ich wollte den Konzent nicht mehr verlassen. Nicht, solange Ala hier lebte.
    Sie und Tulia waren nirgendwo zu sehen, und es dauerte nicht lange, da hatten wir herausgefunden, warum: Sie hatten Dienst im Mynster. Lange nach dem Essen begannen Glocken zu läuten. Wir saßen ein paar Minuten da und lauschten, bemüht, die Wechsel zu identifizieren. Doch Barb hatte sich das alles gemerkt und fand es als Erster heraus. »Voko«, verkündete er, »die Säkulare Macht wird einen von uns evozieren.«
    »Anscheinend hat Fraa Paphlagon seinen Job nicht hingekriegt«, plauderte Jesry drauflos, während wir unser Bier leerten.
    »Oder er braucht Verstärkung«, schlug Lio vor.
    »Oder er hatte einen Herzanfall«, sagte Arsibalt. In der letzten Zeit hatte er dauernd solche düsteren Ideen gehabt, und so warfen wir Übrigen ihm böse Blicke zu, bis er ergeben die Hände hob.
    Wir bummelten über die Wiese zum Mynster. Trotzdem blieb uns noch reichlich Zeit, sodass wir diesmal in der ersten Reihe, unmittelbar vor dem Schirm, saßen. Nach unserer Ankunft läutete es noch ein paar Minuten zum Voko. Dann kamen die acht Läuterinnen hintereinander von ihrem Balkon herunter und fanden Plätze weiter hinten. Ein Hunderterchor trat in den Chorraum hinaus und stimmte einen monophonen Gesang an. Ich erwog, nach hinten zu gehen, um bei Ala zu sein, aber es war Teil unserer Regel, dass man derlei klebriges, paarähnliches Verhalten unterließ, solange die Liaison noch nicht öffentlich gemacht worden war, und so würde das noch ein paar Stunden warten müssen.
    Diesmal erschien Statho nicht, wie bei Fraa Paphlagons Voko, in Begleitung von Inquisitoren. Wie damals ging er die einzelnen Schritte zur Eröffnung der Zeremonie durch, und zum ersten Mal, seit die Glocken zu läuten begonnen hatten, wurde mir bewusst, dass das ernst gemeint war. Ich fragte mich, von welchem Avot wir uns würden verabschieden müssen – ob es diesmal einer von uns
Zehnern oder jemand wie Fraa Paphlagon sein würde, den wir nie gesehen hatten, weil er einem anderen Math angehörte.
    Bis Statho die Stelle im Aut erreichte, wo er den Namen des Evozierten ausrufen musste, war ich ziemlich unruhig geworden. Das Mynster war so still wie das Kellergeschoss unter Shufs Dotat. Deshalb hätte ich am liebsten losgeschrien, als er ausgerechnet in diesem Moment innehielt und in seinem Gewand herumfingerte. Er zog ein Blatt heraus, das zusammengefaltet und mit einem Tropfen Bienenwachs versiegelt worden war. Es dauerte ewig, bis er das Ding geöffnet hatte. Er faltete es auseinander, hielt es in Augenhöhe vor sich – und machte eine überraschte Miene.
    Es war ein so unangenehmer Moment, dass selbst ihm eine Erklärung notwendig erschien. »Es sind sechs Namen!«, verkündete er.
    Pandämonium ist zwar nicht das richtige Wort, um ein paar Hundert Avot zu beschreiben, die reglos dastanden und miteinander flüsterten, aber es vermittelt die richtige Stimmung. Ein einzelner Voko war schon selten genug. Sechs auf einen Streich hatte es noch nie gegeben – oder doch? Ich sah zu Arsibalt hinüber. Er las meine Gedanken. »Nein«, flüsterte er, »nicht einmal beim Großen Klumpen.«
    Mein Blick ging zu Jesry. »Das ist es!«, sagte er. Und meinte damit das Besondere, auf das er gewartet hatte.
    Statho räusperte sich und wartete, bis das Gemurmel sich legte. »Sechs Namen«, fuhr er fort. Wieder wurde das Mynster still, bis auf das schwache

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