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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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sagte sie, und etwas an der Art, wie sie den Namen aussprach, verriet mir, dass sie alles wusste; sie wusste, dass ich einmal in ihre beste Freundin verknallt gewesen war. »Wen willst du als deinen Zeugen haben?«
    Ich war schon im Begriff gewesen, Lio zu nennen, aber Jesry war in dem Zusammenhang ein solcher Idiot gewesen, dass ich beschloss,
dass er derjenige sein musste. »Und unser freier Zeuge kann von mir aus Haligastreme sein, oder wer sonst gerade zur Verfügung steht«, sagte ich.
    »Was für eine Art Liaison geben wir denn bekannt?«, fragte sie.
    Das war keine schwierige Frage. Liaisons sollten angekündigt werden, wenn sie eingegangen und wenn sie aufgelöst wurden. Das diente der Eindämmung von Klatschgeschichten und Intrigen, die in einem Math so schnell um sich greifen konnten. Der Konzent Saunt Edhar erkannte verschiedene Typen an. Der am wenigsten ernsthafte war der tivische. Der ernsthafteste – der perelithische – entsprach der Ehe. Er kam für zwei Jugendliche unseres Alters, die sich bis vor einer Dreiviertelstunde nicht hatten ausstehen können, auf keinen Fall in Frage. Hätte ich tivisch gesagt, würde Ala mich durch die Falltür in den Tod stoßen, und ich würde die letzten vier Sekunden meines Lebens damit zubringen, mir zu wünschen, ich hätte etrevanisch gesagt.
    »Könntest du es ertragen, wenn Leute wüssten, dass du dich in einer etrevanischen Liaison mit dem Riesentrottel Fraa Erasmas befindest?«
    Sie lächelte. »Ja.«
    »Gut.« Dann Verlegenheit. Es schien angemessen, sie noch ein Mal zu küssen. Das ging prima.
    »Und werden wir über die Tatsache sprechen, dass wir soeben ein außerarbrisches Raumfahrzeug entdeckt haben, das sich in einer Umlaufbahn um Arbre versteckt?«, fragte sie mit leiser, schüchterner Stimme – was ihr gar nicht ähnlich sah. Sie war es jedoch im Gegensatz zu mir nicht gewöhnt, so tief in Schwierigkeiten zu stecken, und deshalb nehme ich an, dass sie das Gefühl hatte, sich in solchen Fragen einem Gewohnheitsverbrecher fügen zu müssen.
    »Mit ein paar Leuten. Ich bin ziemlich sicher, dass Lio unten im Wehrwarthof ist. Ich werde kurz bei ihm vorbeischauen und ihm erzählen, was …«
    »Das hört sich gut an. Wir sollten es sowieso getrennt angehen, solange unsere Liaison noch nicht öffentlich ist.«
    Die Gewandtheit, mit der sie zwischen den Themen Liebe und außerarbrisches Raumfahrzeug hin und her sprang, machte mich benommen. Vielleicht auch ausgelassen. »Dann treffen wir uns später unten. Wir geben den anderen die Neuigkeit weiter, sowie sich Gelegenheit dazu bietet.«

    »Tschüss«, sagte sie. »Vergiss deine verbotene Blume nicht.«
    »Mach ich nicht«, sagte ich.
    Im Nu war sie die Leiter hinuntergestiegen.
    Ich folgte ihr eine Minute später und traf Lio im Lesesaal des Wehrwarthofs an. Er las ein Buch über eine Schlacht im Praxischen Zeitalter, in der sich in den verlassenen U-Bahnschächten einer Großstadt zwei Armeen gegenübergestanden hatten, denen die Munition ausgegangen war und die deshalb mit gewetzten Schaufeln kämpfen mussten. Er schaute mich verständnislos an. Ich musste noch verständnisloser ausgesehen haben, bis mir klar wurde, dass die jüngsten Ereignisse mir nicht ins Gesicht geschrieben standen. Tatsächlich war es an mir, das Gespräch zu eröffnen.
    »In der vergangenen Stunde sind unglaubliche Dinge passiert«, verkündete ich.
    »Nämlich?«
    Ich wusste nicht, was ich zuerst sagen sollte, kam aber zu dem Schluss, dass außerarbrische Raumschiffe ein besseres Thema für den Lesesaal des Wehrwarthofs waren. Also erzählte ich ihm bis ins Detail davon. Er sah etwas verwirrt aus, bis ich zu der Stelle kam, wo die Funkenspur sich krümmte, und den Begriff Plasma erwähnte. Da hellte sein Gesicht sich auf. »Ich weiß, was es ist«, sagte er.
    Er war sich so sicher, dass es mir gar nicht erst in den Sinn kam, an seinen Worten zu zweifeln. Stattdessen fragte ich mich nur, woher er es wusste. »Wie kannst du …«
    »Ich weiß, was es ist.«
    »Gut. Und was ist es?«
    Zum ersten Mal löste er seinen Blick von meinen Augen und ließ ihn im Lesesaal umherschweifen. »Es könnte hier stehen … oder aber in der Alten Bibliothek. Ich werde es finden. Und es dir später zeigen.«
    »Warum erzählst du es mir nicht einfach?«
    »Weil du mir nicht glauben wirst, bis ich es dir in einem Buch zeige, das jemand anders geschrieben hat. So merkwürdig ist es.«
    »Also gut«, sagte ich. Und fügte hinzu: »Herzlichen

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