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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Heulen der Polizeisirenen außerhalb des Tagestors und das Rumpeln von Maschinen. »Einer davon ist nicht mehr unter uns.«
    »Orolo«, sagte ich. Ungefähr hundert andere sagten es zur selben Zeit. Stathos Gesicht lief rot an. »Voko«, rief er, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst, und er musste schlucken, bevor er es erneut versuchte. »Voko Fraa Jesry aus dem edharischen Kapitel des Dezenariermaths.«
    Jesry drehte sich um und schlug mir so fest auf die Schulter, dass es mir noch drei Tage später wehtun würde. Etwas, was mich an ihn erinnern würde. Dann kehrte er uns den Rücken zu und verschwand aus unserem Leben.
    »Suur Bethula aus dem edharischen Kapitel des Zentenariermaths … Fraa Athaphrax aus demselben … Fraa Goradon aus dem
edharischen Kapitel des Dezenariermaths … und Suur Ala aus dem Neuen Zirkel, Dezenarier.«
    Als ich wieder bei klarem Verstand war, befand sie sich bereits auf der Schwelle der Tür durch den Schirm. Sie war genauso schockiert wie ich. Tränen begannen ihr übers Gesicht zu laufen, während sie zögernd dastand und in meine Richtung schaute.
    Als ich vor Monaten Fraa Paphlagon hatte fortgehen sehen, war mir ganz klar geworden, dass niemand hier ihn je wiedersehen würde. Dasselbe widerfuhr nun Ala. Es kam jedoch nicht bei mir an. Das Einzige, was zu mir durchdrang, war der Ausdruck auf ihrem Gesicht.
    Später erzählten sie mir, ich hätte zwei Leute umgestoßen, als ich mir einen Weg zu ihr hinüber bahnte.
    Sie legte einen Arm um meinen Hals und küsste mich auf den Mund, bevor sie für einen Moment ihre nasse Wange an meine presste.
    Als Fraa Mentaxenes die Tür zwischen uns schloss, senkte ich den Blick und entdeckte ein aufgerolltes Stück Papier, das in meiner Kulle steckte. Es war von winzigen Löchern durchbohrt. Bis ich das richtig begriffen hatte und vorgetreten war, um mein Gesicht an den Schirm zu drücken, waren Jesry, Bethula, Athaphrax, Goradon und Ala bereits auf demselben Weg hinausgegangen wie zuvor Paphlagon und Orolo. Alle waren am Singen, nur ich nicht.
    Schreckliche Ereignisse: Eine weltweite, trotz schlechter Dokumentation im Allgemeinen als von Menschen verursacht geltende Katastrophe, die das Praxische Zeitalter beendete und unmittelbar zur Rekonstitution führte.
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000
    »Jetzt siehst du, was ich gemeint habe«, sagte Lio. »Es ist so verrückt, dass du mir nicht geglaubt hättest, wenn ich es dir nicht in einem Buch gezeigt hätte.«
    Er und ich, Arsibalt, Tulia und Barb saßen um einen großen Tisch in Shufs Dotat. Außeratmosphärische Waffensysteme des Praxischen Zeitalters war wie eine Leiche zur Obduktion ausgebreitet. Wir
schauten auf ein doppelseitiges Faltblatt. Es hatte uns eine Viertelstunde gekostet, das Ding aufzuklappen, ohne die alten Blätter zu zerreißen: richtiges, in einer Fabrik hergestelltes Papier. Vor uns hatten wir ein riesiges, ausgesprochen detailreiches Schaubild eines Raumschiffs. An einem Ende prangte eine richtige Spitze, wie es sich für eine Rakete gehörte. Alles andere daran sah merkwürdig aus. Es hatte keine normalen Triebwerke. Am hinteren Ende, wo bei einer richtigen Rakete die Düsentrichter gewesen wären, befand sich stattdessen eine große flache Scheibe, die aussah wie ein Sockel, auf dem das Luftschiff aufrecht stehen könnte. Davor waren mehrere gedrungene Säulen angebracht, die zu dem führten, was ich als das eigentliche Raumschiff betrachtete: die Familie aus abgerundeten Druckbehältern, die unter dieser Raketenspitze Schutz gefunden hatten.
    »Stoßdämpfer«, sagte Lio, auf die Säulen zeigend, »nur größer.« Er lenkte unsere Aufmerksamkeit auf ein winziges Loch mitten in der großen Scheibe am hinteren Ende. »Hier würden die Atombomben ausgespuckt, eine nach der anderen.«
    »Das ist der Teil, der mir einfach nicht in den Kopf will.«
    »Hast du schon mal von den Deolatisten gehört, die barfuß über glühende Kohlen laufen, um zu zeigen, dass sie übernatürliche Kräfte haben?« Er schaute zum Kamin hinüber, in dem wir Feuer gemacht hatten. Nicht dass wir eins gebraucht hätten. Wir hatten ein paar Fenster einen Spalt breit geöffnet, um die frische, nach dem jungen Klee auf der Wiese duftende Brise hereinzulassen. Dieses Lüftchen brachte traurige Lieder mit. Die meisten der Avot waren durch den sechsfachen Voko so schockiert, dass sie nichts anderes tun als ihn musikalisch verarbeiten konnten. Wir alle hier in diesem Raum hatten eine andere

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