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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Möglichkeit, mit unserem Verlust klarzukommen, aber nur, weil wir Dinge wussten, die andere nicht wussten. Das Feuer hatten wir gleich bei unserer Ankunft entfacht, nicht um uns zu wärmen, sondern als eine primitive Art, Trost zu finden. Das hatten Menschen schon lange vor Knous getan, sogar lange vor Aufkommen der Sprache, um ein bisschen Raum in einem dunklen Universum zu beanspruchen, das sie nicht verstanden und das ihre Familie und Freunde plötzlich und für immer einzufordern pflegte. Lio ging zum Feuer hinüber und bearbeitete mit einem Schürhaken ein glühendes Holzscheit, bis er mehrere Brocken glühende Holzkohle davon abgeschlagen hatte. Einen davon rechte
er heraus auf die Steine. Er war etwa so groß wie eine Nuss und glühend rot.
    Ich wurde schon nervös.
    »Raz«, sagte er, »würdest du das in deine Tasche stecken und mit dir herumtragen?«
    »Ich habe keine Taschen«, witzelte ich.
    Niemand lachte.
    »Entschuldige«, sagte ich. »Nein, auch wenn ich eine Tasche hätte, würde ich das da nicht hineinstecken.«
    Lio spuckte sich in die linke Handfläche und tauchte die Fingerspitzen seiner rechten Hand in die kleine Speichelpfütze. Mit ihnen hob er anschließend diese Holzkohle auf. Es gab zischende Geräusche. Wir zuckten zusammen. Seelenruhig warf er das Holzkohlenstück wieder ins Feuer, bevor er seine heißen Fingerspitzen ein paar Mal gegen seinen Schenkel schlug. »Leichtes Unbehagen. Keine Verletzung«, verkündete er. »Dieses Geräusch war Spucke, die durch die Hitze der Holzkohle verdampft wurde. Jetzt stellt euch vor, die Platte auf der Rückseite dieses Raumschiffs war mit etwas beschichtet, das denselben Zweck erfüllt.«
    »Denselben Zweck wie Spucke?«, fragte Barb.
    »Ja. Es wurde durch das Plasma der Atombomben verdampft, und während es sich in den Raum hinaus ausdehnte, trieb es diese Platte an. Die Stoßdämpfer glichen die Wucht dieses Vorgangs aus und verwandelten sie in einen stetigen Schub, sodass die Leute oben am vorderen Ende schöne gleichmäßige Beschleunigung verspürten.«
    »Man kann sich kaum vorstellen, explodierenden Atombomben so nah zu sein«, sagte Tulia. »Und nicht nur einer, sondern einer ganzen Reihe davon.«
    Ihre Stimme klang ziemlich rau. Die von uns anderen auch, nur Barbs nicht. Er hatte das Buch vorher schon durchgelesen. »Das waren Spezialbomben. Wirklich winzig«, sagte er, während er mit den Armen einen Kreis bildete, um ihre Größe zu demonstrieren. »Nicht dazu gedacht, in alle Richtungen auseinanderzufliegen, sondern viel Plasma in eine Richtung zu speien – auf das Raumschiff zu.«
    »Ich finde es auch unfassbar«, meldete sich Arsibalt zu Wort, »aber ich bin dafür, dass wir unseren Zweifel einstweilen beiseiteschieben und vorwärtsgehen. Der Beweis liegt vor uns, darin« – er deutete auf das Buch – »und darin.« Er legte die Hand auf das Blatt, das Ala
am Tag zuvor mit ihrer Nadel perforiert hatte. Dann sah er plötzlich niedergeschlagen aus. Ich glaube, er hatte etwas in meinem Gesicht gesehen, oder in Tulias oder in beiden. Für uns war dieses Blatt jetzt wie eins jener Andenken an frühere Saunts, die die Avot in Reliquienschreinen verehrten.
    »Vielleicht«, sagte Arsibalt, »ist es noch zu früh für diese Diskussion. Vielleicht …«
    »Vielleicht ist es schon zu spät!«, sagte ich. Was mir einen dankbaren Blick von Tulia einbrachte und den Fall für alle zu erledigen schien.
    »Ich bin überrascht – angenehm überrascht -, dass du hier bist, Arsibalt«, sagte ich.
    »Damit beziehst du dich wohl auf meine, äh, scheinbare Sprunghaftigkeit der letzten Wochen.«
    »Deine Worte, nicht meine«, sagte ich, bemüht, keine Miene zu verziehen.
    Er runzelte die Stirn. »Ich erinnere mich nicht – du vielleicht? – an irgendein Diktat der Hierarchen, nach dem es uns untersagt ist, winzige Löcher in Folie zu machen und das Sonnenlicht auf Papier fallen zu lassen. Unsere Position ist unangreifbar.«
    »So hatte ich es noch gar nicht gesehen«, sagte ich. »Fast enttäuscht es mich ein wenig, dass wir gegen keinerlei Vorschriften mehr verstoßen.«
    »Ich weiß, dass das ein eigenartiges Gefühl für dich sein muss, Fraa Erasmas, aber nach einer Weile dürftest du dich daran gewöhnen.«
    Barb verstand den Witz nicht. Wir mussten es ihm erklären. Er verstand ihn immer noch nicht.
    »Nun frage ich mich, ob eins dieser Raumschiffe – vielleicht – verlorengegangen ist«, sagte Tulia.
    »Verlorengegangen?«, wiederholte Lio.
    »Na

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