Anathem: Roman
mit einem Großteil der Ausrüstung und Ganelials mit dessen Dreirad auf der Ladefläche.
Die erste Etappe führte uns bergab in die Küstenebene, wo wir, als wir uns dem Salzwasser näherten, nach rechts abbogen, um dann in einer langen geschwungenen Linkskurve einen Meerbusen des nördlichen Ozeans zu umfahren. Am Ende dieses Meerbusens lag ein Hafen, der im ersten Jahrtausend A. R., als das Wasser noch ganzjährig eisfrei war, ein paar Jahrhunderte lang der bedeutendste auf der Welt gewesen war. Wegen seiner Lage war er später die »flachste« und damit am leichtesten zu demontierende aller Ruinen geworden. Die meisten seiner großen Bauwerke – seine Viadukte, Kaimauern und Brücken – waren von Plünderern zerschlagen worden, die die in den Kunststein eingelassenen Armiereisen
herausgezogen und das Metall an Orte transportiert hatten, wo es gebraucht wurde. Die Trümmerhügel waren mit riesigen Bäumen aufgeforstet worden. Die einzige aus diesem Zeitalter übrig gebliebene Konstruktion war eine Hängebrücke über den großen Fluss, der in das Ende des Meerbusens mündete; sie hing so hoch über dem Meeresspiegel, dass das zurückkehrende Packeis sie nicht zertrümmert hatte. Zu dieser Jahreszeit war kein Eis zu sehen, aber die Narben, die es an den schuttbedeckten Ufern hinterlassen hatte, waren leicht zu erkennen. Diese Hafenruine diente jetzt als Fischerdorf und Zwischenstation für Trommfahrer. Ein paar hundert Menschen lebten hier, zumindest im Sommer. Nachdem wir den Ort verlassen und uns ziemlich genau in Richtung Norden landeinwärts begeben hatten, sahen wir nur noch vereinzelte Siedlungen, die immer weniger wurden und schließlich verschwanden, als wir in bewaldete Hügel hinauffuhren. Danach kamen wir in eine deutlich andere Landschaft hinunter: Taiga, eine Gegend, die so trocken und kalt war, dass Bäume nur bis in Kopfhöhe wuchsen. Wir fuhren eine ganze Stunde lang, ohne andere Fahrzeuge zu sehen. Schließlich hielten wir an einer felsigen Stelle in der Nähe eines Flusses an, parkten unsere Hole etwas abseits von der Straße, wo man sie nicht sehen konnte, und schliefen in unseren Anzugsäcken.
Am nächsten Morgen versagte der brandneue Kocher, den wir nach unserer Abfahrt aus Samble gekauft hatten. Hätte Yul sich uns nicht angeschlossen, hätten wir für den Rest der Reise kalte Energieriegel essen müssen. Einen Ausdruck stillen Triumphs im Gesicht, zauberte Yul auf seiner Batterie von tosenden Industriebrennern ein gigantisches Frühstück. Seinen Cousin arbeiten zu sehen, schien Gnel stolz, aber auch verdrießlich zu machen, so als wollte er sagen: Schaut nur, was für gute Leute wir hervorzubringen vermögen, wenn sie aufhören, an unsere Religion zu glauben.
Da fast kein Verkehr war, bekam ich von Yul Fahrstunden, während Cord den Kocher auseinandernahm. Sie diagnostizierte das Problem als eine verstopfte Düse, zurückzuführen auf Schmiere, die während der kalten Nacht aus dem Treibstoff ausgefällt worden war.
»Du schäumst ja«, bemerkte sie einige Zeit später. Mir wurde bewusst, dass ich mich aus der Unterhaltung zurückgezogen hatte. Sie und Yul hatten geredet, aber ich hatte kein Wort von ihrem Gespräch gehört. »Was ist los?«
»Ich kann einfach nicht glauben, dass wir in der heutigen Zeit ein Problem mit chemischem Treibstoff haben«, sagte ich.
»Tut mir leid. Wir hätten Super nehmen sollen.«
»Nein, das ist es nicht. Nichts, was dir leidtun müsste. Ich will nur sagen, dass dieser Kocher eine viertausend Jahre alte Praxik ist.«
Cord war perplex. »Dasselbe gilt für diesen Hol und alles, was drin ist«, sagte sie.
»He!«, rief Yul mit gespielter Gekränktheit.
Cord machte eine spöttische Bemerkung, verdrehte die Augen und wendete ihre Aufmerksamkeit dann wieder mir zu. »Alles, außer natürlich deiner Sphär. Und?«
»Ich nehme mal an, da ich an einem Ort mit so gut wie keiner Praxik lebe, komme ich nie auf die Idee, über solche Dinge nachzudenken«, sagte ich. »In Momenten wie diesem wird mir die Absurdität aber wieder bewusst. Es gibt keinen Grund, sich mit solchem Schrott abzufinden. Einem Kocher mit gefährlichem, unzuverlässigem Treibstoff. Mit Düsen, die verstopfen. In viertausend Jahren könnten wir einen besseren Kocher hergestellt haben.«
»Wäre ich in der Lage, diesen Kocher auseinanderzunehmen und zu reparieren?«
»Das bräuchtest du nicht, denn er würde nie kaputtgehen.«
»Ich möchte aber wissen, ob ich einen solchen Kocher
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