Anathem: Roman
gegenseitig
mit einem seltsamen Blick, was mich vermuten ließ, dass ihre Wege sich schon einmal gekreuzt haben könnten. Keiner von beiden sagte jedoch etwas darüber. Sie nahm ihre Tasse entgegen, und dann wandten beide sich voneinander ab, als wäre irgendetwas Peinliches vorgefallen.
Yulassetar Crade nahm mich mit in die Stadt, sodass ich ein paar Erledigungen machen konnte. Als Erstes verschickte ich meinen Brief an Ala, wohnhaft im Konzent Saunt Tredegarh. Die Frau auf der Post stellte sich fürchterlich an, weil er nicht ordentlich adressiert war. Aus demselben Grund, aus dem ich keinen Pass besaß, hatten Konzente keine Adresse. Ich wusste, es war ein schrecklicher Fehler gewesen, dass ich Arsibalt oder Lio bei dem Picknick in Samble nicht ein kleines Briefchen zugesteckt hatte. Sie hätten es direkt zu Ala schmuggeln können. Stattdessen musste ich dieses Ding jetzt per Post zum Konzent schicken, wo es von den Hierarchen abgefangen und – falls sie streng die Regel befolgten – Alas Kenntnis bis zu ihrer nächsten Apert in über neun Jahren vorenthalten würde. Ich konnte mir nur ausmalen, was sie dann von mir denken würde, wenn sie dieses vergilbte, von einem nicht einmal zwanzig Jahre alten Jungen geschriebene Dokument las.
Der nächste Halt auf meiner Route war ein Ort, an dem wir Anzugsäcke kaufen konnten: riesige orangefarbene Overalls, deren Beine durch Reißverschlüsse miteinander verbunden werden konnten, um sie in Schlafsäcke zu verwandeln. Sie waren für Leute gedacht, die zum Jagen oder Sammeln von Wiederverwertbarem in den hohen Norden fuhren. Jeder besaß eine eingebaute katalytische Stromversorgungseinheit; solange deren Blase Treibstoff enthielt, erzeugte sie einen geringen Stromfluss, der an den Armen und Beinen des Anzugs entlang zu kleinen Heizkissen in den Sohlen der Stiefel und den Handflächen der Fäustlinge gelenkt wurde. Neue Anzugsäcke konnten ziemlich teuer sein, aber Yul hatte Orolo neulich geholfen, einen billigen zu bekommen. Er wusste, wo man überholte gebrauchte finden konnte, und kannte Tricks, um sie bequemer zu machen.
Nachdem wir das erledigt hatten, machten wir uns auf die Suche nach weiteren Ausrüstungs- und Zubehörteilen, die wir brauchen würden. Jedes Mal, wenn ich vorschlug, in einen nach Campingbedarf aussehenden Laden zu gehen, zuckte und stöhnte Yul, um dann zu erklären, wie man zu einem Zehntel des Preises an besseres
Material kommen konnte, indem man Dinge benutzte, die in Haushaltswaren- und Lebensmittelgeschäften verkauft wurden. Natürlich hatte er immer recht. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Wildnisführer, der mit Urlaubern auf Bergtouren ging. Anscheinend hatte er im Moment keine Arbeit, denn er verbrachte den ganzen Tag damit, mich in Norslof herumzukutschieren und mir zu helfen, irgendwie zusammenzubekommen, was wir brauchten. Wenn wir etwas Bestimmtes in keinem einzigen Laden fanden, versprach er, es uns aus seinem persönlichen Bestand zu geben.
Die Fahrerei fraß unglaublich viel Zeit. Der Verkehr war immer dicht, jedenfalls kam es mir so vor. Aber ich war das motorisierte Leben in einer Stadt nicht gewohnt. Wenn der Verkehr zum Erliegen kam, schauten sich Leute aus den Mobos um uns herum durch ihre Fenster Yuls klapprigen Hol an. Erwachsene wandten bald den Blick ab, aber Kinder zeigten gern mit dem Finger auf uns und starrten und lachten. Und das taten sie zu Recht. Verglichen mit all diesen Leuten, die zur Schule und zur Arbeit fuhren, waren Yul und ich ein wunderliches Paar.
Anfangs schien Yul sich verpflichtet zu fühlen, ein guter Gastgeber zu sein – mich zu unterhalten, wenn wir im Stau standen. »Musik?«, sagte er abwesend, so als wäre Musik etwas, wovon er schon einmal gehört hatte. Da kein Widerspruch kam, machte er sich daran, an den Knöpfen seiner Tonanlage herumzufummeln, als wären sie ihm in der Hand abgebrochen und mit nichts mehr verbunden. Am Ende ließ er den Suchknopf auf einer beliebigen Sendung stehen. Später, als er angefangen hatte zu reden, griff ich hinüber und stellte die Anlage aus, und er merkte es nicht einmal.
Ein Teil seiner Arbeit bestand wohl darin, dafür zu sorgen, dass Leute, die er gerade erst kennen gelernt hatte (seine Kunden), sich wohlfühlten, was er mit dem Erzählen von Geschichten bewerkstelligte. Darin war er gut. Ich versuchte, ihn zum Reden über Orolo zu bringen, aber dazu hatte er nicht viel zu sagen. Orolo mochte mir vieles bedeuten, aber für Yul war er auch nur so
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