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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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neuer Leute. Und das unterschied ihn ebenso von den Leuten in dem Verkehrsstau wie von mir.
    Ich schaute mir also fasziniert diese Leute in ihren Mobos an und versuchte zu ergründen, wie es mir an ihrer Stelle ginge. Vor Tausenden von Jahren war die Arbeit, die die Menschen machten, in Berufe aufgeteilt worden, die Tag für Tag gleich waren und von Organisationen vergeben wurden, in denen Menschen austauschbar waren. Alle Geschichten hatte man aus ihnen herausgesaugt. So musste es sein; so erhielt man eine produktive Wirtschaft. Dahinter konnte man jedoch mühelos einen Willen am Werk sehen: nicht unbedingt einen bösen Willen, aber einen eigennützigen. Die Leute, die das System so eingerichtet hatten, waren weder auf Geld
noch auf Macht aus, sondern auf Geschichten. Wenn ihre Angestellten am Abend nach Hause kamen und interessante Geschichten zu erzählen hatten, bedeutete das, dass etwas schiefgegangen war: ein Stromausfall, ein Streik, ein Amoklauf. Die da oben ertrugen es nicht, wenn andere in ihren eigenen Geschichten lebten, es sei denn, es waren erfundene Geschichten, die man sich ausgedacht hatte, um sie zu motivieren. Leute, die ohne Geschichten nicht leben konnten, waren in die Konzente oder in Jobs wie den von Yul getrieben worden. Alle anderen mussten irgendwo außerhalb der Arbeit nach dem Gefühl suchen, Teil einer Geschichte zu sein, was vermutlich der Grund dafür war, dass Säkulare sich so ausgiebig mit Sport oder mit Religion beschäftigten. Wie sonst konnte man sich als Teil eines Abenteuers sehen? Etwas mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende, in dem man eine maßgebliche Rolle spielte? Wir Avot hatten das als Teil des Projekts, neue Dinge zu lernen, automatisch. Auch wenn es sich für Leute wie Jesry nicht immer schnell genug bewegte, es bewegte sich jedenfalls. Man wusste, wo man in dieser Geschichte stand und was man tat. Yul bekam das alles umsonst, indem er seine Geschichten von Tag zu Tag lebte, und der einzige Nachteil bestand darin, dass die Welt seine Geschichten für ziemlich belanglos hielt. Vielleicht verspürte er deswegen einen solchen Drang, sie zu erzählen, nicht nur über seine eigenen Großtaten in der Wildnis, sondern auch die seiner Mentoren.
    Schließlich erreichten wir die Tankstelle. Yul stellte seine Reiseküche auf und fing an, Mittagessen zu kochen. Er teilte uns nicht offiziell mit, dass er uns begleiten würde, aber aus der Art, wie er redete, wurde es klar ersichtlich, und so ging Gnel nach einer Weile in die Tankstelle und vereinbarte mit den Besitzern, dass Cord ihren Hol für zwei Wochen dort stehen lassen konnte. Cord begann, Sachen aus ihrem Hol in Yuls umzuladen. Während er kochte, beobachtete Yul diesen Vorgang und fing bald an, sich auf scherzhafte Weise über die Unmengen an nutzlosem Gerümpel zu beschweren, die Cord seiner Meinung nach in sein Heim-auf-Rädern stopfte. Cord begann bald, die Beschimpfung zurückzuschmettern. Kaum sechzig Sekunden später warfen sie sich erstaunlich derbe Dinge an den Kopf. In ihrem Geplänkel hatte ich nicht mehr Platz als zwischen zwei Menschen, die sich küssten oder schlugen, und so begab ich mich hinüber zu Sammann.
    »Ich habe diesen Raketenspulo gefunden«, sagte er zu mir. »Du
hattest recht damit, dass sie groß ist. Sie ist eine der größten Raketen, die heutzutage in Betrieb sind.«
    »Sonst noch etwas?«
    »Die Nutzlast«, sagte er. »Ihre Form und Größe entsprechen denen eines Fahrzeugs, das man im Allgemeinen dazu benutzt, Menschen in den Weltraum zu tragen.«
    »Wie viele Menschen?«
    »Bis zu acht.«
    »Gibt es denn irgendwelche Informationen darüber, wer an Bord ist oder wozu sie dort hoch fliegen?«
    Sammann schüttelte den Kopf. »Nur wenn du die Abwesenheit von Information als Information wertest.«
    »Was meinst du damit?«
    »Denen da oben zufolge ist das Raumschiff unbemannt. Es ist der Test eines neuen Systems. Unter Synvorkontrolle.«
    Ich schaute ihn an. Er grinste und hob die Hände. »Ich weiß, ich weiß! Ich habe Nachforschungen in ein paar mir bekannten Retikeln angestellt. In ein paar Tagen werden wir vielleicht etwas haben.«
    »In ein paar Tagen werden wir am Nordpol sein.«
    »In ein paar Tagen«, sagte er, »könnte das ein guter Aufenthaltsort sein.«
     
    Am nächsten Morgen machten wir uns nach einem ausgiebigen, von Yul und Cord zubereiteten Frühstück auf die Reise gen Norden. Cords Hol blieb zurück. Unsere Karawane bestand aus den beiden Crade-Fahrzeugen, Yulassetars

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