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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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eine grobe Vorstellung davon zu haben, wie die drahtlose Übertragung von Informationen funktionierte. Ein bestimmter Frequenzbereich stand zur Verfügung. In den meisten Fällen war das vollkommen ausreichend. Selbst in großen Städten. Das Militär nutzte allerdings einen großen Teil davon und störte manchmal den, den es nicht nutzte. Die Schlittenzugfahrer hier oben in den Bergen waren es gewohnt und inzwischen davon abhängig geworden, dass sie fast die gesamte Bandbreite zur Verfügung hatten – sie tauschten ständig Berichte über das Wetter und den Zustand der Routen aus. Doch irgendwann im Laufe der heutigen Fahrt mussten unsere Fahrer gemerkt haben, dass etwas anders war als sonst: Funksprüche kamen nur selten durch und waren von schlechter Qualität. Vielleicht hatten sie gedacht, ihre Geräte seien defekt, bis sie den Pass erreicht und das hier entdeckt hatten: Hunderte, vielleicht Tausende von Militärfahrzeugen, die jedes kleinste Stückchen Funkfrequenz in Anspruch nahmen.
    Das alles war so bemerkenswert, dass wir vielleicht noch stundenlang
da gestanden und uns das angesehen hätten, wenn Brajj sich nicht nach unseren Fahrern umgedreht hätte. Sie waren dabei, über den Schlepper zu klettern, Eis von verschiedenen Geräten zu klopfen, am Gestänge zwischen der Zugmaschine und unserem Schlitten zu rütteln und die Flüssigkeitsstände in der Maschine zu prüfen. Brajj war ein mürrischer und ruhiger Mann, aber zu einem Zeitpunkt im Schnee zu stehen, wo beide Fahrer schon auf die Zugmaschine gestiegen waren, machte ihn äußerst wachsam, ja sogar ängstlich. Nach einer Minute wurde ihm einfach zu unbehaglich zumute, und er kletterte in den Schlitten zurück. Ich folgte gern seinem Beispiel. Nur wenige Augenblicke nachdem ich mich wieder auf meinem Platz niedergelassen hatte, hörten wir die Tür des Schleppers zuknallen. Wir riefen Laro und Dag, die, in Erstaunen über den Anblick des Konvois erstarrt, mehrere Schritte hinter dem Schlitten waren. Es gelang uns, Dags Aufmerksamkeit zu erregen. Er drehte sich zu uns um, schien aber immer noch nicht zu begreifen, was vor sich ging, bis der Motor der Zugmaschine erdröhnte und ein Gestänge klirrte, als ein Gang eingelegt wurde. Mit der flachen Hand schlug er Laro auf die Schulter, machte zwei Schritte auf uns zu, packte Laro im Vorbeigehen am Kragen und zerrte ihn hinter sich her. Brajj rutschte näher ans hintere Ende und streckte einen Arm hinaus, falls er sie in den Schlitten ziehen müsste. Ich stand auf und trat näher, um zu helfen. Der Schleppermotor dröhnte noch lauter, und wir hörten deutlich das Klirren seiner Ketten, die in Bewegung kamen. Laro und Dag erreichten uns ungefähr zur selben Zeit; Brajj und ich packten jeder eine ihrer Hände und hievten sie an Bord. Ihr Schwung trug sie bis in den vorderen Teil des Schlittens. Das Klirren der Ketten hatte bereits einen gleichmäßigen Rhythmus angenommen.
    Wir bewegten uns nicht.
    Brajj und ich schauten hinaus in den Schnee. Dann schauten wir einander an.
    Wir sprangen beide hinaus und rannten um den Schlitten herum. Die Zugmaschine war fünfzig Fuß von uns entfernt und nahm Fahrt auf. Der Zughaken, der sie mit unserem Schlitten verbunden hatte, schleifte durch den Schnee hinter ihr her.
    Brajj und ich rannten ihr nach. Die Kettenspuren trugen weitgehend unser Gewicht, nur alle paar Schritte brachen wir ein und versanken bis an die Oberschenkel. Auf jeden Fall rannte ich schneller.
Ich hatte vielleicht hundert Fuß zurückgelegt, als die Seitentür aufschlug und der zweite Fahrer auftauchte. Er kletterte hinaus auf eine Art Trittbrett über der rechten Kette und präsentierte mir eine lange, über seiner Schulter hängende Schusswaffe.
    »Was macht ihr?!«, rief ich.
    Er griff in das Führerhäuschen, hievte etwas Sperriges heraus und ließ es in den Schnee fallen: ein Karton mit Energieriegeln. »Wir müssen jetzt einen anderen Pass nehmen«, rief er zurück. »Er ist weiter weg. Steiler. Wir haben nicht genug Treibstoff.«
    »Dann lasst ihr uns also hier im Stich?!«
    Er schüttelte den Kopf und ließ einen anderen Gegenstand hinunterfallen: einen Kanister Anzugsacktreibstoff. »Gehen beim Militär um Treibstoff betteln«, rief er – aus größer werdender Entfernung -, »da unten. Dann kommen wir zurück und holen euch.« Damit tauchte er wieder in das Führerhäuschen und machte die Tür hinter sich zu.
    Die Logik war sonnenklar: Sie waren von dem Konvoi überrascht worden. Einen

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