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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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gefolgt. Zwei tektonische Platten waren im hohen Norden zusammengestoßen und hatten eine Bergkette hochgeschoben, die zu passieren heikel gewesen wäre, wäre sie nicht unter zwei Meilen dickem Eis begraben gewesen. Im Laufe des vergangenen
Tages oder so hatte der Kontinent sich unter uns verbreitert, aber wir waren auf seiner rechten oder (nun, da wir nach Süden fuhren) westlichen Seite geblieben. Nicht ganz am Rand, denn die westliche Küste war eine steile Bergkette der Subduktionszone. Zwischen ihr und dem zugefrorenen Meer gab es nur sehr wenig ebenes Gelände, und das meiste davon war mit trügerischen, von Spalten durchzogenen Gletschern bedeckt, die von den Bergen herunterflossen. Stattdessen blieb der Schlitten ein paar Meilen landeinwärts von der Küstengebirgskette, wo er über ein Plateau mit sicherem Eis fuhr. Dort befand sich die Schlittenzugstation. Von dort aus führten Straßen südwärts über Eis, Tundra und Taiga, um die Verbindung zu dem Transportnetz herzustellen, das sich bis zum Meer der Meere verästelte. Der erste Außenposten in dieser Richtung lag jedoch Hunderte von Meilen entfernt. Schmuggler wie der Mann, der meinen Schlitten fuhr, konnten es sich nicht leisten, ihre Passagiere so weit zu befördern. Stattdessen drehten sie nach rechts, also Richtung Westen ab, umfuhren die Schlittenzugstation und nahmen einen der drei Pässe, die die Küstengebirgskette zerschnitten, um die Verbindung zu Häfen an der Küste des Ozeans herzustellen. Diese waren von Süden her mittels Eisbrechern erreichbar.
    Cord, Sammann und die Crades würden einfach in ihre Hole steigen und von der Schlittenzugstation aus in Richtung Süden fahren. Wären die Wetterbedingungen besser und die Kurzstreckenschmuggler unterwegs gewesen, hätte ich einen von ihnen bezahlen können, damit er mich schnell um die Schlittenzugstation herumfuhr und ein paar Meilen südwärts an der Straße absetzte, wo ich einfach wieder in Yuls Hol hätte einsteigen können. Stattdessen würden meine vier Gefährten jetzt ein paar Tage lang ohne mich gen Süden in eine gemäßigtere Zone fahren, dann nach Westen abschwenken und die Berge überqueren, um zu einem Hafen namens Mahsht zu gelangen – dem Heimathafen der Eisbrecherflotte. In der Zwischenzeit würde ich eine Fahrt auf einem Eisbrecher oder einem der in seinem Kielwasser folgenden Geleitschiffe buchen. Das würde mich nach Mahsht hinunterbringen. Hätten wir uns dort erst einmal getroffen, wären es nur noch wenige Tagesreisen mit dem Hol bis zum Meer der Meere. Was ich jetzt ausführte, war also Plan B – wobei Plan A die Kurzstreckenumfahrung gewesen wäre -, und den hatten wir offen gestanden nicht sehr detailliert besprochen, da wir nicht davon ausgegangen waren, dass es so kommen würde.
Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ich die Entscheidung übereilt getroffen und vermutlich ein paar wichtige Details vergessen hatte, aber während der ersten paar Stunden auf diesem kleinen Schlitten hatte ich jede Menge Zeit, alles zu durchdenken und mich davon zu überzeugen, dass es gut ausgehen würde.
    Als ich also jetzt spürte, wie der Schlitten seine Stellung unter mir änderte, nahm ich es als Zeichen dafür, dass wir uns an den Aufstieg zu einem der drei Pässe machten, die das Plateau im Inland mit der Küste verbanden. Sammann zufolge war einer von ihnen wesentlich besser zu überqueren als die beiden anderen, jedoch immer wieder durch Lawinen verschlossen. Die Schlittenzugfahrer wussten am Tag zuvor noch nicht, welchen sie schließlich nehmen würden. Sie entschieden sich spontan aufgrund der Informationen, die sie von anderen Schmugglern über Funk bekamen. Da unser Fahrer in einem abgetrennten Fahrzeug saß, eingeschlossen in einer abgedichteten, geheizten Kabine, hatte ich keine Möglichkeit, seinen Funkverkehr mitzuhören und ein Gefühl für das zu bekommen, was da vor sich ging.
    Ein paar Stunden später ließ die Geschwindigkeit des Schlittens jedoch nach, und er kam leicht schwankend zum Stehen. Wir Passagiere brauchten erst einmal einen Moment, um uns wieder ans Gehen zu gewöhnen. Ich schaute auf die Uhr und nahm erstaunt zur Kenntnis, dass wir schon sechzehn Stunden unterwegs waren. Acht oder zehn davon musste ich geschlafen haben – kein Wunder, dass ich steif war. Brajj schlug eine Klappe zur Seite, um das Zelt auf unserem Schlitten mit grauem Licht, hell, aber richtungslos, zu erfüllen. Der Sturm hatte sich gelegt, die Luft war schneefrei, der Himmel aber

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