Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
ungern zu, aber ich brach in schallendes Gelächter aus. Bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte, verging eine Minute.
    Beackern, so nannten wir das, was wir im Frühjahr mit unseren Strüppen machten. Dazu bewegten wir uns auf allen vieren durch sie hindurch und bestimmten zunächst die Unkräuter, zogen sie mit Handhacken heraus, warfen sie zum Verbrennen auf einen Haufen und ließen nichts als aufgewühlten Boden zurück. Die Klumpen zerbröselten wir dann mit den Händen, sodass eine aufgelockerte Fläche entstand, auf der anschließend die Pflanzen des Strüpps ihre Wurzelsysteme ausbreiten konnten. Als nun dieser Fremde fand, ich sähe aus, als hätte ich unlängst etwas zu beackern gehabt, gingen meine Gedanken sofort in diese Richtung, und ich dachte, er wollte mir sagen, dass ich aussähe, als wäre ich im Dreck herumgekrochen. Was zutraf. Oder vielleicht, dass ich aussähe wie ein Haufen Unkraut. Was ebenfalls zutraf. Schließlich erinnerte ich mich daran, dass ich extramuros war, wo die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs beackern tausend Jahre zuvor in Vergessenheit geraten und er zu einem Klischee geworden war, das jeder konkreten Bedeutung beraubt war.
    Nichts davon konnte ich dem Fremden erklären, und so hatte ich keine andere Wahl, als da zu sitzen und hilflos zu glucksen – wobei
mir die Rippen wehtaten – und zu hoffen, dass er daran keinen Anstoß nehmen und mich schlagen würde. Aber er war geduldig. Es schien ihn sogar selbst etwas zu quälen, jemanden in einem so bedauernswerten Zustand zu sehen. Da konnte ich von Glück reden, denn er war ein kräftiger Mann und hätte mich schwer verprügeln können.
    Das brachte mich auf einen Gedanken, der das Glucksen unterbrach. »He«, sagte ich, »hast du irgendwelche Kleider übrig? Ich würde sie dir abkaufen.«
    »Du brauchst in der Tat saubere Kleider«, sagte der Fremde. Das brachte mich wieder zum Kichern. Von Zeit zu Zeit nahm ich meinen eigenen Geruch wahr. Ich wusste, dass er schlecht war. Aber ich konnte ja nicht gut meine Kulle anziehen.
    »Ich habe mehr Kleider, als ich brauche, und werde mich gerne von ihnen trennen«, sagte er.
    Er hatte eine merkwürdige Ausdrucksweise. Halbgebildete Säkulare gingen in Geschäfte, kauften vorgefertigte, auf schwerem Papier maschinengedruckte Briefe mit netten Bildern und schickten sie sich gegenseitig als emotionale Gesten. Sie waren in einer gestelzten Sprache verfasst, die niemand mehr sprach – außer diesem Burschen, der da vor mir stand und dem mühelos Worte wie beackern über die Lippen kamen.
    Er fuhr fort: »Ich fordere keine Gegenleistung. Aber ich hoffe, dass du mit mir zum Gottesdienst gehst – wenn du dich umgezogen hast.«
    Das war es also. Dieser Mann wollte mich zu seiner Arch bekehren. Er hatte mich beobachtet und als armen Teufel ausgemacht – eine Seele, die der Rettung harrte.
    Ich hatte nichts Besseres zu tun, und außerdem war nur allzu deutlich geworden, dass ich meine Kenntnisse in den Sitten der Säkulare erweitern musste. Also warf ich meine stinkenden Kleider und meinen Anzugsack weg, badete, so gut das im Stehen vor einem Waschbecken ging, und zog die seltsam riechenden Kleider dieses Mannes an. Dann begab ich mich in eine heiße, überfüllte Kabine, in der seine Arch ihre Gottesdienste abhielt. Dort traf ich auf anderthalb Dutzend Anhänger und einen Magister – einen ledrigen Mann namens Sark, der anscheinend sein Leben damit zubrachte, sich auf Schiffen wie diesem herumzutreiben und als Geistlicher für Matrosen und Fischer zu wirken.

    Dies war eine Kelx, eine Dreiecksarch. Ihre Anhänger hießen Kedews. Es war eine vollkommen andere Religion als die von Ganelial Crade. Sie war ungefähr zweitausend Jahre zuvor von einem geschickten Propheten erfunden worden, der ungewöhnlich zurückhaltend gewesen sein musste, da man über ihn wenig wusste und er selbst nicht verehrt wurde. Wie die meisten Religionen hatte sie Risse und Brüche wie der Gletscher, über den ich kürzlich gegangen war. Doch all ihre Sekten und Abspaltungen waren sich darin einig, dass es eine andere, größere – und in gewisser Weise realere – Welt außerhalb derjenigen gab, in der wir lebten. Und dass es in dieser Welt einen Räuber gab, der eine Familie überfallen hatte. Den Vater hatte er sofort erschlagen, die Mutter vergewaltigt und dann getötet und ihre Tochter als Geisel mitgenommen. Nicht lange danach hatte er bei dem Versuch, der Verhaftung zu entgehen, das unschuldige Mädchen

Weitere Kostenlose Bücher