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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Kanals entlang auf eine offenere, hundert Fuß entfernte Stelle zu: einen Platz, wo zwei Straßen auf ein Kanalufer stießen. »Umdrehen und vorwärts marsch!«, befahl er.
    Ich drehte mich um und ging auf den Platz zu. Der größte Teil des Pöbels war schon an uns vorbeigezogen, sodass ich mich jetzt am äußeren Rand, in den hinteren Reihen einer Menge von vielleicht hundert Menschen befand, die erst im Trab, dann im Sturmlauf hinter den zurückweichenden Rothemden herlief; die hatten zu diesem Zeitpunkt auf der Flucht vor der überwältigenden Übermacht der Steine werfenden, Messer schwenkenden Angreifer ihre Geisel bis auf den Platz geschleppt.
    Den erreichten schließlich auch der Anführer der Gheeth und ich. Das Kanalufer befand sich links von uns, zu unserer Rechten öffnete sich der Platz. Aus dieser Richtung ertönten jetzt Kriegsrufe. Unter diesem Begriff verstehe ich hier den schauerlichen Schrei, den der erste Mann im roten Hemd ausgestoßen hatte, als er aus dem Nichts aufgetaucht war, um mich zu beschützen. Jetzt hörten wir zehn davon auf einmal. Der erste hatte, wie beschrieben, einfach alle erstarren lassen. Nach kurzer Zeit hatten wir jedoch gelernt, diesen Laut mit Kinnhaken verteilenden, Gliedmaßen verdrehenden Thalkundeexperten in Verbindung zu bringen. Eine Schlachtreihe aus Rothemden war an unserer rechten Flanke aufgetaucht; sie hatten sich auf dem Platz bereitgehalten und darauf gewartet, dass die ersten drei uns in diese Position lockten. Alle Köpfe wendeten sich ihnen zu, alle Körper drehten sich von ihnen weg. Bevor wir das Bild überhaupt richtig aufnehmen konnten, hatte jeder der Rothemden schon ein oder zwei aus dem Pöbel mit blutenden Platzwunden zu Boden geschickt. Die Reihe der Rothemden schwenkte herum, damit die ersten drei, die jetzt den von ihnen gequälten Mann losließen, sich anschließen konnten. Der Pöbel, dem jetzt allmählich klar wurde, dass er an der rechten Flanke umfasst und der Platz insgesamt Feindesland war, ein Ausweichen nach links jedoch durch das Kanalufer unmöglich gemacht wurde, kehrte in der Hoffnung um, sich auf dem Weg, den er gekommen war, wieder zurückziehen zu können. Doch da ertönten von hinten salvenartig
weitere Kriegsrufe, und mehrere Rothemden sprangen aus dem Kanal herauf. Wie Kletterer an die grobe Kanalwand geklammert, hatten sie sich dort unten versteckt, und wir waren unwissentlich an ihnen vorbeigelaufen. Sie schnitten dem Pöbel den Rückzug ab. Für ihn bestand der einzige Ausweg nun darin, zwischen dem Kanalufer und den Rothemden hindurch auf den Platz zu stürmen oder in den Kanal hinunterzuspringen. Sobald einige auf diesen beiden Wegen entkommen waren, wollten alle es ihnen gleichtun, und im Nu war Panik ausgebrochen. Die Rothemden ließen sie ziehen. Kurz darauf waren alle meine Angreifer einfach verschwunden. Die beiden Reihen aus Rothemden schlossen sich zu einer zusammen und bildeten einen lockeren Kreis von ungefähr zwanzig Fuß Durchmesser. Sie standen mit dem Rücken zum Kreisinneren. Ihre Köpfe bewegten sich unablässig. In der Mitte des Kreises befanden sich drei Personen: der bewaffnete Anführer der Gheeth, ich und ein einzelner Mann im roten Hemd, der ständig in Bewegung und auf diese Weise immer zwischen mir und der Gewehrmündung war.
    Eine Frau im roten Hemd am Rand des Kreises rief: »Fusil«, was ein lächerlich veralteter Orthbegriff für eine Feuerwaffe mit langem Lauf war. Die beiden Rothemden links und rechts neben ihr drehten ihr augenblicklich den Rücken zu, um in andere Richtungen zu schauen. Die Reaktion aller Übrigen war eine ganz normale: Sie folgten dem Blick der Frau auf das Dach eines Tromms, der am Rand des Platzes parkte. Ein Gheeth war mit einem langen Gewehr dort hochgeklettert und legte es gerade auf uns an. Die Frau, die »Fusil« gerufen hatte, hüpfte vorwärts, hob die Hände und schlug ein Rad, das sie auf den Deckel einer Mülltonne beförderte. Von dort aus sprang sie seitwärts, rollte herum und schnellte in der Nähe eines Trinkbrunnens wieder hoch, von dem sie sich mit einem Fuß abstieß, um einen vollständigen Richtungswechsel vorzunehmen, der sie zu einem struppigen Baum brachte. Daran fand sie Halt und schwang sich um ihn herum, hüpfte auf eine Bank, verschwand in einem Passantengrüppchen, und als sie einen Moment später wieder auftauchte, rannte sie unmittelbar auf den Mann mit dem Gewehr zu, änderte aber kurz darauf wieder ihren Kurs, um sich hinter ein Kiosk zu

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