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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Analemma, wo Generationen von Physiologistenpriestern Provene gefeiert hatten. Und das mit Kacheln übersäte Dekagon, wo Metekoranes gedankenverloren gestanden hatte, als der ganze Ort unter Asche begraben wurde.
    »Habt ihr ihn gefunden?«, fragte ich Spry ein paar Minuten später, als wir uns an Obst und Wasser aus dem Korb gütlich taten.
    »Wen – Metekoranes?«
    »Ja.«
    »Ja. Er war der Erste, nach dem wir – ich meine sie, meine Vorgänger – Ausschau hielten. Sie fanden, aufrecht stehend …« Sie brach ab, wobei sie ergriffen und angewidert zugleich aussah.
    »Ein Skelett?«
    »Einen Abguss«, sagte sie, »einen Abguss seines ganzen Körpers. Du kannst ihn dir anschauen, wenn du willst. Natürlich ist es nur Spekulation, dass es sich dabei um den echten Metekoranes handelt.
Aber er entspricht genau der Legende. Er hielt sogar den Kopf gebeugt, weißt du, so als schaute er sich die Kacheln an.«
    Der Platz, auf dem wir unser kleines Picknick genossen – der, auf dem Metekoranes begraben und in Stein gegossen worden war -, war das Wirklichkeit gewordene Teglon. Er war eben, dekagonal, vielleicht zweihundert Fuß im Durchmesser und mit glatten Marmorplatten ausgelegt. In alten Zeiten war der Platz reichlich mit in Gussformen gebrannten Tonkacheln versehen gewesen. Es gab sieben Gussformen, folglich auch sieben verschiedene Formen von Kacheln, mit denen man eine unendliche Zahl von Mustern legen konnte. Mit Quadraten oder gleichseitigen Dreiecken ist das nicht möglich; sie passen in sich wiederholenden Mustern zusammen, sodass keine Entscheidungen nötig sind. Solange man aber mehr Kopien der Teglonkacheln hatte, konnte man ewig fortfahren, Entscheidungen zu treffen. Sogar jetzt lagen Hunderte von Kacheln über den ganzen Platz verstreut, und hier und da hatten heutige Orithener sie in kleinen Anordnungen zusammengefügt. Ich hockte mich hin, schaute mir eine an und sah fragend zu Spry auf. »Nur zu«, sagte sie, »es ist eine moderne Reproduktion. Wir haben die Originalgussformen gefunden!«
    Ich nahm eine Kachel in die Hand, um sie genauer zu betrachten. Diese war zufällig vierseitig: ein Rhombus. In ihre Oberfläche war eine Rille modelliert, die von einer ihrer Kanten zu einer anderen verlief. Ich trug sie hinüber zum nächstgelegenen Vertex des Dekagons und legte sie ab; mit dem stumpfen Winkel passte sie perfekt in die Ecke.
    »Aha«, neckte Suur Spry mich, »gehst wohl gleich das schwierigste Problem von allen an, wie?«
    Natürlich sprach sie vom Teglon. Sie drehte sich um, ging zum gegenüberliegenden Vertex und legte dort eine Kachel hin. In der Zwischenzeit sammelte ich ein paar andere Kacheln auf, unter denen sich Exemplare aller sieben Formen befanden. Ich wählte eine beliebige aus und legte sie neben die erste. Auch auf ihrer Oberfläche wand sich eine Rille von einer Kante zu einer anderen – alle Kacheln waren so gemacht -, und ich drehte sie, bis ihre Rille zu der auf der ersten Kachel passte und sie fortsetzte. In den Winkel zwischen ihnen konnte ich eine dritte setzen. Das schuf Möglichkeiten, eine vierte, fünfte und so weiter hineinzuschieben. Ich spielte das Teglon. Ziel des Spieles war es, das Muster von einem Vertex
aus aufzubauen und das ganze Dekagon so zu pflastern, dass die Rille eine durchgehende, ununterbrochene Kurvenlinie vom ersten Vertex bis zum letzten, dem genau gegenüberliegenden, bildete, wo Suur Spry eine Kachel hingelegt hatte. Unterwegs musste die Rille jede Kachel auf dem gesamten Dekagon überqueren. Ganz am Anfang war das einfach – es ging wie von selbst. Doch ab einem bestimmten Punkt gerieten die beiden Ziele – das Kacheln der gesamten Fläche und die Weiterführung der Rille – in Konflikt. Ich musste ein Stück Rille erst einmal unverbunden lassen und mich dann wieder zu ihr zurückarbeiten, indem ich die Rille herumbugsierte, um die Verbindung zu schaffen. Das gelang mir noch gut. Wenige Minuten später fand ich mich jedoch mit drei solchen Stücken abgeschnittener Rille an verschiedenen Stellen des Musters wieder und gab die Hoffnung auf, jemals eine Anordnung zu finden, die sie alle verband. Einerseits ging es hier um die Form der äußeren Begrenzung und darum, wie sie sich entwickelte. Kacheln, die in der Mitte gefangen waren, hatten ihre Bedeutung für das Spiel verloren – hätte man jedenfalls annehmen können. Doch andererseits bestimmte am Ende die Art, wie eine innere Kachel gelegt worden war, die Position jeder weiteren Kachel im

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