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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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kriegenden Wörtern, die nahezu unverändert vom Protoorth bis ins Fluckische übergegangen waren. Auf Fluckisch – was, wie ich anfangs vermutete, die Sprache war, in der Korlandin es benutzt hatte – bedeutete es einfach jemanden, der etwas mochte. Die protoorthische Bedeutung dagegen war, auf einen Fraa und insbesondere einen Theoriker wie Orolo angewandt, nicht besonders schmeichelhaft. Und tote Sprachen war ebenfalls eine interessante Wortwahl. War sie wirklich tot, wenn Orolo sie las? Und falls Orolo mit den Übersetzungen recht hatte, brachte Korlandin dann, indem er das Original »tot« nannte, eine Art Argument an – und zwar auf hinterlistige Weise, ohne dass er sich die Mühe machte, es zu beweisen?
    Nachdem ich scheinbar stundenlang wachgelegen und mir darüber den Kopf zerbrochen hatte, ging mir plötzlich auf, dass die Dinge, die Fraa Orolo mir sagte – selbst wenn sie mir Unbehagen oder regelrechte Schmerzen verursachten -, mich nie dazu veranlassten, nachts mit meiner Kulle zu ringen, so wie diese Worte von Fraa Korlandin es getan hatten. Das brachte mich auf den Gedanken, mich lieber den Edhariern anzuschließen.
    Natürlich nur, wenn die Edharier mich haben wollten. Da war ich gar nicht so zuversichtlich. Was die reine Theorik betraf, hatte ich nie eine so rasche Auffassungsgabe gehabt wie manche andere Fids. Das musste aufgefallen sein. Ich fragte mich: Warum hatte Großsuur Tamura mir die erste und einfachste Frage gestellt? Lag es daran, dass sie mich nicht für fähig hielt, mit etwas Schwierigerem fertig zu werden? Warum ließ Orolo mich als Famulus arbeiten, statt mich Theorik betreiben zu lassen? Warum versuchte Korlandin jetzt, mich anzuwerben? Alles in allem kam ich zu dem Schluss, dass
jeder wusste, dass ich nicht geeignet war, in den Edharierorden aufgenommen zu werden, und einige versuchten, mir eine möglichst weiche Landung zu verschaffen.

Teil 2
    APERT

    Ita: (1) In Spätpraxikorth ein Acronym (deshalb in alten Texten auch manchmal ITA geschrieben), dessen genaue Etymologie dem Verlust schlampig aufbewahrter Information zum Opfer gefallen ist, wodurch die Zeit der Vorboten und der Schrecklichen Ereignisse für immer in Dunkel gehüllt ist. Nahezu alle Gelehrten sind sich darin einig, dass die ersten beiden Buchstaben von den Wörtern Informations-Technologie stammen, Werbescheißdrökh aus dem spätpraxischen Zeitalter für syntaktische Vorrichtungen. Der dritte Buchstabe ist umstritten: Die Hypothesen reichen von Autorität über Assoziation, Arm, Archiv, Aggregator, amalgamiert, Analyst und Agentur bis zu Assistent. Jedes davon vermittelt natürlich ein anderes Bild von der Rolle, die die Ita in den Jahren vor der Rekonstitution gespielt haben könnten, und so wird jedes mehr oder minder von einer anderen Suvin vertreten. (2) In Frühneuorth (bis zur Zweiten Verheerung) eine Fakultät eines Konzents, die sich der Praxik der syntaktischen Vorrichtungen widmete. (3) Im späteren Neuorth eine geächtete handwerkliche Kaste, geduldet nur in den siebenunddreißig Konzenten, die rund um die Großen Uhren gebaut worden waren, von denen alle insofern die Reformen der Zweiten Verheerung in technischer Hinsicht missachteten, als ihre Uhren mit Untersystemen gebaut wurden, die syntaktische Vorrichtungen verwenden; Aufgabe der Ita ist es, diese Untersysteme zu bedienen und zu warten, dabei jedoch eine strikte Absonderung von den Avot einzuhalten.
     
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000

    I n der letzten Nacht von 3689 träumte ich, dass irgendetwas Fraa Orolo beunruhigte und dass alle es bemerkt hatten, aber weder er selbst noch irgendjemand sonst offen darüber reden wollte. Es war also ein Geheimnis. Und doch wusste jeder, was es war: Die Planeten wichen von ihren Umlaufbahnen ab, und die Uhr ging falsch. Ein Teil der Uhr war nämlich eine Planetenmaschine: ein mechanisches Modell des Sonnensystems, das die gegenwärtigen Positionen von Planeten und vielen ihrer Monde wiedergab. Es befand sich im Narthex oder Vorraum zwischen dem Tagestor und dem nördlichen Langhaus. Vierunddreißig Jahrhunderte lang war es ganz genau gegangen, aber jetzt war es aus dem Gleichgewicht geraten. Die Marmor-, Kristall-, Stahl- und Lapiskugeln, die die Planeten darstellten, waren an Positionen gerückt, die im Widerspruch zu dem standen, was Fraa Orolo selbst im kleinsten Teleskop deutlich sehen konnte. Obwohl im Traum nicht erwähnt, nahm ich an, dass das Problem etwas mit den Ita zu tun haben musste,

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