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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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aufpassten.
    Die Diskussion war sogar ziemlich interessant geworden, und beendet hatte sie erst das Läuten der Abendglocke. Es gehörte zu unserer Regel, nie zwei Nächte hintereinander in derselben Zelle zu schlafen. Die neuen Zuordnungen wurden jeden Abend auf einer Schiefertafel im Refektorium ausgehängt. Dorthin mussten wir zurückgehen, um zu erfahren, wo wir schlafen und mit wem wir das Zimmer teilen würden. So machte sich die ganze Gruppe auf den Weg aus dem Schreibsaal und rund um das Klostrum herum und schwatzte und lachte über Dox und Yorr und die anderen komischen Figuren, die die Extras sich in dem Bemühen ausgedacht hatten, schlau aus uns zu werden. Auf den Bänken mit Blick in das Klostrum saßen ältere Fraas und Suurs und setzten Sandalen zusammen – normalerweise unsere Art von Arbeit – und warfen uns böse Blicke zu.
    Es war wichtig, dass ich keinem der Sandalenmacher erlaubte, meinen Blick zu erhaschen, und so wandte ich den Kopf ab und bemerkte, dass Fraa Orolo, ein Bündel mit Berechnungen übersäter Blätter unter den Arm geklemmt, aus einem der anderen Schreibsäle kam. Er ging in eine Richtung los, bog jedoch, als er unsere Schar sah, in den Garten ab und steuerte auf das Mynster zu. Das versetzte mir einen kleinen Stich, denn eine gewisse Tafel mit einem Bild des Saunt Tankred-Nebels setzte auf einem Tisch in einem Arbeitsraum oben im Sternrund Staub an, während sie ein paar
Blätter beschwerte, die mit nicht schlüssigen und zum Teil wieder durchgestrichenen Aufzeichnungen in meiner Handschrift befleckt waren. Orolo würde das alles bemerken und wissen, dass ich seit Tagen nicht daran gearbeitet hatte.
    Ein paar Minuten später war ich in der Zelle, die ich in dieser Nacht mit zwei anderen Fraas teilen sollte, wickelte mich in meine Kulle und formte meine Sphär zu einem Kissen. Man könnte erwarten, dass ich, als ich dann da lag und einzuschlafen versuchte, über die Apert oder die Ikonographien nachdachte. Doch der Anblick von Fraa Orolo im Klostrum hatte mir den zweifelhaften Satz wieder ins Gedächtnis gerufen, den Fraa Korlandin beim Abendessen gesagt und den ich geschluckt hatte, ohne ihn zu schmecken. Jetzt war er zu einem jener unwillkommenen Gedanken geworden, von denen ich nicht wusste, wie ich sie wieder loswerden sollte.
    Genau das habe ich gehört , hatte Fraa Korlandin gesagt. Mein Dialog mit Orolo hatte jedoch nur eine Stunde vor dem Abendessen stattgefunden. Wer von den Umstehenden war losgerannt, um die Geschichte im Kapitelhaus des Neuen Zirkels zu verbreiten? Warum interessierte das überhaupt jemanden?
    Bis letztes Jahr hatte Korlandin eine Liaison mit Suur Trestanas, ebenfalls vom Neuen Zirkel, gehabt. Dann hatte eines Tages die Glocke zum Aut des Regred geläutet, was bedeutete, dass jemand den Entschluss gefasst hatte, in den Ruhestand zu treten. Wir hatten uns im Mynster versammelt, und der Primas hatte einen Namen gerufen: den des Regelwarts. Trotz der vielen Buße, die dieser Mann uns im Laufe der Jahre auferlegt hatte, waren wir alle traurig, als wir die Gesänge des Auts anstimmten, denn er war vernünftig und weise gewesen.
    Statho – der Primas – hatte dann Suur Trestanas zur neuen Regelwartin ernannt. Das war angesichts ihrer jungen Jahre eine etwas überraschende, aber nicht umstrittene Entscheidung, denn jeder wusste, dass sie klug war. Sie war in das Gelände des Primas umgezogen, wo sie jetzt eine Zelle für sich hatte und die Mahlzeiten mit den anderen Hierarchen einnahm. Es ging jedoch das Gerücht, dass ihre Liaison mit Korlandin weiterhin bestand. Manche eher misstrauisch veranlagte Avot glaubten, dass die Hierarchen den Konzent mit Vorrichtungen durchsetzt hatten, mit deren Hilfe sie erfahren konnten, was wir sagten. Diese Ansicht war eine Mode, die kam und ging, je nachdem was die Leute zu einem bestimmten
Zeitpunkt von den Hierarchen dachten. Seit Suur Trestanas Ernennung zur Regelwartin hatte sie Aufwind bekommen. Mir war es unmöglich, jetzt nicht daran zu denken. Vielleicht hatte sie meinen Dialog mit Orolo belauscht und ihn dann an Korlandin weitergegeben.
    Auf der anderen Seite (sagte der Teil meines Verstands, der solche Gedanken eindringlich bat, zu verschwinden) musste ich zugeben, dass ich selbst es seltsam gefunden hatte, dass Orolo sich plötzlich für Übersetzungsfehler in Altorth interessierte.
    Wer hätte ahnen können, dass unser Kosmograph ein Liebhaber toter Sprachen ist? Nun, Liebhaber gehörte zu jenen nicht klein zu

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