Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson

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wollten, dann wäre jetzt die Zeit, in der wir damit rechnen müssten.«
    »Etwas fallen lassen «, wiederholte ich.
    »Du hast gesehen, was der armen Frau angetan worden ist!«, rief Orolo aus. »In dem Ikosaeder herrscht Aufruhr – vielleicht Bürgerkrieg. Ein Lager, das uns Dinge mitteilen will, und ein anderes, das tötet, um das zu verhindern.«
    »Sogar uns tötet?«
    Orolo zuckte die Achseln. Wir waren unten an der Rampe angelangt und gerieten in einen Verkehrsstau. Als ich die spiralförmig über uns aufsteigende Rampe absuchte, konnte ich Avot und Soldaten, alle durcheinander, rennen sehen. Ein unergründliches Gesetz der Staudynamik sorgte jedoch dafür, dass die von uns, die noch am Boden der Grube waren, sich in völligem Stillstand befanden. Wir konnten nur darauf warten, dass der Stau sich auflöste. Wir waren die letzten Avot in der Schlange; hinter uns standen noch zwei Trupps unter schweren Bündeln gebeugter Soldaten, die stur warteten, wie es seit jeher Soldatenlos war. Dahinter war Orithena entvölkert, leer bis auf die außerarbrische Sonde.
    Orolo pflanzte sich vor mir auf und schenkte mir ein freundliches Grinsen. »Was unser Gespräch von vorher betrifft«, fing er an, als wollte er mich zu einem Dialog in der Küche des Refektoriums einladen.
    »Ja? Hast du ihm noch etwas hinzuzufügen?«
    »Was den eigentlichen Inhalt angeht, nicht«, gestand er. »Aber die Lage ist kurz davor, wirklich recht chaotisch zu werden, und es kann sein, dass wir getrennt werden.«
    »Ich habe vor, an deiner Seite zu bleiben …«
    »Vielleicht lassen sie uns keine Wahl«, betonte er und fuhr dabei mit einem Finger an seinem Halsband entlang. »Meine Nummer ist ungerade, deine ist gerade – vielleicht werden sie uns in verschiedene Zelte sortieren oder so was.«
    Endlich setzten die Leute vor uns sich in Bewegung. Sammann, der spürte, dass wir versuchten, so etwas wie ein Gespräch unter vier Augen zu führen, ging voraus. Unter allgemeinem Drängen und Schubsen gelangten wir auf den unteren Teil der Rampe. Wenig später schritten wir aus, dann liefen wir.

    Orolo, der nach wie vor häufig zum westlichen Himmel aufschaute, fuhr fort: »Wenn du dich in Tredegarh im Gespräch mit anderen über deine hiesigen Erfahrungen wiederfindest und ihnen von dem erzählst, worüber wir heute Nachmittag gesprochen haben, dann wird die Art, wie sie darauf reagieren, ganz stark davon abhängen, wer sie sind, aus welchem Math sie kommen …«
    »Du meinst Prokier gegen Halikaarnier?«, fragte ich. »Das bin ich gewohnt, Orolo.«
    »In dem Fall ist es etwas anders«, erklärte Orolo. »Die meisten Leute, Prokier wie Halikaarnier, werden darin nichts als müßige metatheorische Spekulation sehen. Harmlos, außer insofern, als es Zeitverschwendung ist. Sprichst du dagegen mit jemandem wie Fraa Jad …«
    Er hielt inne. Ich dachte, es wäre nur, um wieder zu Atem zu kommen, denn mittlerweile rannten wir richtig. Über uns setzten Luftfahrzeuge zur Landung außerhalb des Haupttors an, und der Lärm ihrer Motoren zwang Orolo, die Stimme zu erheben. Doch als ich ihm einen Seitenblick zuwarf, glaubte ich, Unsicherheit in seinem Gesicht zu sehen. Nichts, was ich mit Pa Orolo in Verbindung zu bringen gelernt hatte. »Ich glaube«, sagte er schließlich, »ich glaube, dass sie alle das wissen.«
    »Was wissen?«
    »Dass das, was ich dir zuvor gesagt habe, wahr ist.«
    »Oh.«
    »Dass sie es schon seit mindestens tausend Jahren wissen.«
    »Ah.«
    »Und dass … dass sie Experimente machen.«
    » Was?! «
    Orolo zuckte die Schultern, und über sein Gesicht huschte ein schiefes Lächeln. »Eine Analogie: Als die Theoren ihre Atomzertrümmerer verloren, wandten sie sich dem Himmel zu und machten die Kosmographie zu ihrem Labor, den einzigen Ort, den sie noch hatten, um ihre Theorien zu überprüfen – ihre Philosophie in Theorik zu verwandeln. Und als dann viele dieser Leute auf einer Klippe zusammengesteckt wurden, wo sie nichts anderes zu tun hatten, als über die Art von Dingen nachzugrübeln, über die wir beide vorher geredet haben, nun, da … haben einige von ihnen, glaube ich, Experimente ersonnen, um zu prüfen, ob das, was sie sagten, die Wahrheit oder nur Unsinn war. Und daraus entstand im Laufe der
Zeit durch Ausprobieren eine Form von Praxik.« Ich schaute ihn an, und er zwinkerte mir zu.
    »Dann glaubst du also, dass Fraa Jad mich hierhergeschickt hat, um herauszufinden, ob du es weißt?«
    »Das vermute ich, ja«, sagte Orolo.