Anathem: Roman
Die Orithener stürzten, strömten, wogten auf die freien Flächen zwischen den Luftfahrzeugen und stolperten
oder sprangen dabei über zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände. Piloten zeigten der Reihe nach auf sie, drängten sie zur Eile und zählten jeden, der einstieg. Hin und wieder fiel ihnen noch etwas ein, was sie zugunsten eines weiteren Passagiers hinauswerfen konnten. Das war wohl schon eine ganze Weile so gegangen, als Orolo, Sammann und ich zum Tor hinausrannten. Die meisten Plätze waren bereits eingenommen worden. Voll besetzte Maschinen hoben gerade ab, manche mit Fahrwerken, an denen verzweifelte Menschen hingen. Die wenigen, die noch nicht ausgesucht worden waren, liefen von einem Luftfahrzeug zum anderen, und ich stellte erfreut fest, dass viele noch Plätze fanden. Ich sah Gnels und Yuls Fahrzeuge mit laufendem Motor und eingeschaltetem Licht dastehen, sie selbst aber nicht – sie mussten es geschafft haben! Orolo hatte ich allerdings aus den Augen verloren. Ein rennender Soldat packte mich am Arm und zerrte mich auf ein Luftfahrzeug zu, das gerade seine Motoren auf Touren brachte. Durch eine Wolke herumfliegenden Staubs stolperte ich auf die Tür zu. Hände griffen nach mir und hievten mich hoch, als die Kufen der Maschine sich bereits vom Boden lösten. Der Soldat kletterte hinter mir auf die Kufe. In der Tür drehte ich mich um und warf einen Blick auf die Szenerie unter mir. Ich konnte weder Sammann noch Orolo sehen – gut! Hatten sie Plätze gefunden? Nur zwei Maschinen waren noch auf dem Boden. Eine hob ab und verlor zwei Orithener, die sich verzweifelt am Rahmen ihrer Tür festgeklammert, aber keinen richtigen Halt gefunden hatten. Mindestens zehn weitere Leute waren zurückgelassen worden. Einige saßen mutlos oder lagen zusammengekrümmt dort, wo sie hingefallen waren, auf dem Boden. Manche liefen aufs Meer zu. Einer rannte in Richtung des letzten verbliebenen Luftfahrzeugs los, war aber zu weit entfernt. Ein Teil von mir dachte: Warum hätten sie nicht noch ein paar mehr mitnehmen können? , aber die Antwort ergab sich aus der Art und Weise, wie meine Maschine ihre Aufgabe erfüllte: Trotz auf Hochtouren kreischender Motoren gewann sie nicht schneller an Höhe als ein Mann, der eine Leiter hochklettert, und verlor einen Hagel von kleinen Gegenständen, da die Leute Kleinkram fanden, den man zur offenen Tür hinausschleudern konnte. Von meinem Hinterkopf prallte eine Taschenlampe ab und purzelte auf den Boden; ich schnappte sie mir und warf sie hinaus.
Fast hätte sie eine mit Kulle bekleidete Gestalt getroffen, die
unter uns dahineilte, grell beleuchtet von den Strahlern an Gnels Hol, gebückt unter einer schweren Last – hellblau. Der tote Körper der Geometerin, vergessen und verlassen auf der Ladefläche des Hols. Der darunter gebückte Mann steuerte schnurgerade auf das einzige noch auf dem Boden verbliebene Luftfahrzeug zu. Durch die Tür streckten sich Arme heraus. Der Läufer vollbrachte eine letzte Kraftanstrengung, stemmte beide Füße in den Staub unter dem Luftfahrzeug und drückte sich kräftig ab, um die Leiche der Geometerin hochzuwerfen. Hände packten ihn und hievten ihn an Bord. Der Soldat in der Tür entblößte die Zähne, als er etwas in sein Mikrophon brüllte. Das Luftfahrzeug hob ab und ließ den Mann, der die tote Geometerin gebracht hatte, zurück. Ich zwang mich, zu ihm hinzuschauen, und sah, was ich erwartet und befürchtet hatte: Es war Orolo, allein vor den Toren von Orithena.
Wir hatten jetzt so viel an Höhe gewonnen, dass ich über die Mauern und Gebäude des Konzents hinweg den Hang hinaufschauen konnte, um zu sehen, was da kam. Es hatte große Ähnlichkeit mit dem, was Fraa Haligastreme uns anhand alter Texte beschrieben hatte: schwer wie Stein, flüssig wie Wasser, heiß wie eine Esse und – jetzt, nachdem es sich mehrere tausend Fuß einen Berg herabgewälzt hatte – schnell wie ein Express.
»Nein!«, schrie ich. »Wir müssen umkehren!« Nicht, dass irgendjemand mich hätte hören können. Aber ein Soldat hinter mir las in meinem Gesicht und sah, dass mein Blick sich auf das Cockpit richtete. Ruhig hob er seine Handfeuerwaffe und setzte ihre Mündung mitten auf meine Stirn.
Meine nächster Gedanke war: Hätte ich den Mumm, hinauszuspringen, damit Orolo meinen Platz einnehmen könnte? , aber ich wusste, dass sie nicht noch einmal landen würden, um ihn aufzulesen. Die Zeit war zu knapp.
Orolo blickte sich neugierig um, wirkte dabei jedoch
Weitere Kostenlose Bücher