Anathem: Roman
hatte, verschwand er im Boden und wurde zu einem vergrabenen Rohr, das unter dem hindurchführte, was jetzt von Burghern besiedeltes Gebiet war. Das durch die Schwerkraft in diesem Rohr unter Druck gesetzte Wasser schoss in zwei Fontänen aus dem Becken, das unmittelbar außen vor dem Tagestor lag. Mitten über dieses Becken ging ein Steg, der den zentralen Platz der Burgherstadt an seinem nördlichen Ende mit unserem Tagestor an seinem südlichen verband und genau zwischen den beiden Fontänen hindurchführte.
Das Becken lag immer noch höher als der Fluss und die Ebene. In seinen Boden waren Abflüsse gelegt und durch monumentale Kugelventile aus poliertem Granit gedrosselt. Einer davon speiste eine Reihe von Teichen, Kanälen und Fontänen, die das Gelände des Primas verschönerten und, weiter flussabwärts, einen Teil der Barriere zwischen dem Unarier- und dem Dezenariermath bildeten. Drei weitere Abflüsse waren mit Systemen von Rohren, Saughebern und Aquädukten verbunden, die zu den Jahres-, Jahrzehntund Jahrhunderttoren führten. Diese Systeme waren trocken, außer zur Apert. Jetzt hatten die sinkenden Gewichte der Uhr zwei Ventile geöffnet und gestattet, dass Wasser aus dem Teich hinausströmte, um das Jahres- und das Jahrzehntsystem zu fluten.
In mancher Hinsicht war das vielleicht tatsächlich eine verrückte und wacklige Art, es zu tun, aber sie bot einen Vorteil, der mir erst an diesem Tag klar wurde. Das Wasserwerk war so konstruiert, dass es sich langsam füllte. Nachdem also der Ritus zu Ende war, konnten wir aus dem Mynster hinausströmen und flotten Schrittes
dem Wasser folgen, während es in einen Aquädukt floss, der an den Sieben Treppen entlangführte, das Klostrum umrundete und über dessen rückwärtiges Gelände den Fluss erreichte.
Dort führte eine Steinbrücke über den Fluss, die am diesseitigen Ufer durch einen runden Turm und am jenseitigen durch ein Bollwerk in der äußeren Mauer verankert war. In dem runden Turm befand sich eine Zisterne, die mit einem über den Schaufeln eines Wasserrads schwebenden Gerinne versehen war und sich jetzt mit Wasser aus dem Aquädukt füllte. Die meisten von uns waren rechtzeitig da, um zu sehen, wie die Zisterne überlief und das Rad sich zu drehen begann, indem es Energie vom Wasser aufnahm, bevor es dieses an den Fluss abgab. Über ein Getriebe aus rostfreiem Stahl drehte das Rad eine Welle vom Umfang meines Oberschenkels, die über die Brücke führte (man hätte sie für ein besonders stabiles Geländer halten können, wenn man nicht wusste, wozu sie diente). Auf der anderen Seite des Flusses, innerhalb des Bollwerks, trieb die Welle ein weiteres Getriebe an, das unmittelbar mit den Scharnierstiften zusammenhing, um die die Torflügel schwangen.
Als wir hörten, dass sie sich bewegten, rannten wir zu ihnen, wurden jedoch langsamer, je näher wir kamen, da wir nicht wussten, was passieren würde.
Nun … eigentlich hatten wir eine ziemlich gute Vorstellung. Aber ich war immer noch jung genug, dass ich Diax’ Rechen vergessen konnte, wenn ich in eine Vorstellung verliebt war. Orolos Geschichte über einen Math, der frei in der Zeit trieb und dabei auf Gegenströmen der Kausaler-Bereich-Scherung surfte, hatte mich ganz schön aufgewühlt, und so ließ ich für einen Moment meine Phantasie mit mir durchgehen und tat so, als lebte ich in einem solchen Math und hätte wirklich keine Ahnung, was da draußen vor seinen Toren warten würde, wenn sie sich öffneten: Horden von überheblichen Dards, die mit Mistgabeln und Molotows hereinstürzten. Verhungernde, die hereingekrochen kamen, um dem Boden Kartoffeln abzuringen. Moshianische Pilger, die damit rechneten, das Gesicht des einen oder anderen Gottes zu sehen. Bis zum Horizont nichts als Leichen. Unberührte Wildnis. Der interessanteste Moment war der, als die Öffnung zwischen den Torflügeln gerade groß genug wurde, um eine einzige Person durchzulassen. Wer würde es sein? Mann oder Frau, alt oder jung, mit einem Sturmgewehr, einem Baby, einer Truhe voller Gold oder einer Rucksackbombe?
Als die Torflügel sich weiter öffneten, konnten wir vielleicht dreißig Säkulare erkennen, die sich zum Zuschauen versammelt hatten. Einige standen, alle in derselben merkwürdigen Haltung, mit dem Gesicht zum Tor da; nach einer Weile fand ich heraus, dass sie Spulocorder auf uns richteten oder Nicknacks hochhielten, um Leuten in der Ferne Bilder zu schicken. Ein kleines Mädchen saß auf den Schultern
Weitere Kostenlose Bücher