Anathem: Roman
Lodoghir hatte seine übliche Wirkung auf die Leute.
»Gerade hatte ich gedacht, wir kämen der Sache näher«, sagte Ignetha Foral, »da muss ich feststellen, dass dieses Messale sich wieder einmal in irgendeinem alten und langweiligen Disput zwischen Prokiern und Halikaarniern verzettelt. Metatheorik! Manchmal frage ich mich, ob ihr in der mathischen Welt wirklich begreift, was hier auf dem Spiel steht.«
Ich war eindeutig im falschen Moment gekommen. Doch nun war es zu spät, und andere drängten sich hinter mir, also ging ich vollends hinein und setzte meinem Doyn sein Dessert vor, als er gerade sagte: »Ich akzeptiere deinen Tadel, Frau Ministerin, und ich versichere dir, dass …«
»Ich akzeptiere ihn nicht«, sagte Fraa Jad.
»Das wäre auch noch schöner!«, warf Zh’vaern ein.
»Diese Fragen sind wichtig, ob du dir nun die Mühe machst, sie zu verstehen oder nicht«, fuhr Fraa Jad fort.
»Wie soll ich das denn von dem Parteiengezänk unterscheiden, das in der Hauptstadt vor sich geht?«, fragte Ignetha Foral. Andere am Tisch hatte Fraa Jads Ton entsetzt, sie aber schien ihn anregend zu finden.
Fraa Jad ignorierte die Frage – sie ging ihn nichts an – und widmete seine Energien seinem Dessert. Fraa Zh’vaern – der uns alle mit seinem Interesse an dem Thema überraschte – griff sie auf. »Indem du die Qualität der Argumente prüfst.«
»Wenn die Argumente aus der reinen Theorik kommen, bin ich außerstande, solche Urteile zu fällen!«, wandte sie ein.
»Ich würde nicht annehmen, dass die Existenz der Hyläischen Theorischen Welt aus der so genannten reinen Theorik kommt«, sagte Lodoghir. »Sie erfordert genauso viel blindes Vertrauen wie der Glaube an Gott.«
»Sosehr ich die Raffinesse bewundere, mit der es dir gelingt, Fraa Jad und Fraa Zh’vaern mit ein und demselben Satz aufzuspießen«, sagte Ignetha Foral, »muss ich dich doch daran erinnern, dass die meisten Leute, mit denen ich zusammenarbeite, an Gott glauben, weshalb dieser Schuss bei ihnen wahrscheinlich nach hinten losgeht.«
»Es ist schon spät«, verkündete Suur Asquin – obwohl niemand müde zu sein schien. »Ich schlage vor, wir besprechen das Thema Hyläische Theorische Welt beim Messale morgen Abend.«
Fraa Jad nickte, aber es war schwer zu beurteilen, ob er die
Herausforderung akzeptierte oder sich den Kuchen so richtig schmecken ließ.
Allestöter: Ein Waffensystem von ungewöhnlicher praxischer Perfektion, nach allgemeinem Dafürhalten mit verheerenden Auswirkungen bei den Schrecklichen Ereignissen eingesetzt. Einer weit verbreiteten, aber unbewiesenen Überzeugung zufolge führte die Komplizenschaft der Theoren bei der Entwicklung dieser Praxik zu einer allgemeinen Übereinkunft, diese künftig von der nichttheorischen Gesellschaft zu trennen, eine Politik, deren Umsetzung gleichbedeutend mit der Rekonstitution wurde.
DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000
»Haben euch eure Bücher gefallen?«, erkundigte sich Suur Moyra, dann griff sie sich einen Topf und begann, Gemüsereste in den Kompost zu kratzen. Karvall schnappte entsetzt nach Luft – Moyra hatte sich hereingeschlichen und uns überfallen. Karvall ließ den Topf los, den sie gerade geschrubbt hatte, und eilte zu ihrer alten Doyn hinüber, um ihr den Topf aus den schwachen Händen zu nehmen. Arsibalt und ich drehten uns fast so behände um und sahen zu. Karvall mochte in tonnenweise schwarze Kulle gehüllt sein, aber die Verschnürungen, die das Kleidungsstück an ihrem Körper in Position hielten, waren, wie wir schon bemerkt hatten, höchst kompliziert und lohnten genaues Hinsehen. Selbst Barb schaute hin. Emman Beldo fuhr Ignetha Foral gerade zu ihrer Unterkunft zurück. Zh’vaerns Servitor Orhan war, da sein oder ihr Kopf vollständig bedeckt war, schwer zu deuten, aber die Falten in seiner oder ihrer Kulle verrieten mir, dass er oder sie Karvall nachsah. Tris machte sich das zunutze, um die beste Scheuerbürste zu stibitzen.
»Hast du das mit den Büchern veranlasst?«, fragte ich.
»Ich habe sie von Karvall in das Modul legen lassen«, sagte Moyra und lächelte mir zu.
»Da sind sie also hergekommen«, sagte Tris und erklärte dann: »Ich habe heute Morgen einen Stapel Bücher in meiner Zelle gefunden.
« Aus der Art, wie andere Servitoren Moyra nun ansahen, schloss ich, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht hatten.
»Moment mal, das ist chronologisch unmöglich!«, wandte Barb ein und ließ dann etwas von seinem gewohnten Witz
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