Anathem: Roman
diese Arbeit einbezogen und welche kleinen Abenteuer jeder von uns im Laufe des Tages erlebte, ergäbe eine lustige Sammlung von Anekdoten, aber ich habe mich entschlossen, sie hier nicht auszubreiten, weil sie im Vergleich mit den Ereignissen dieses Abends so trivial sind. Allerdings hatten wir bis dahin Emman, Tris, Barb, Karvall, Lio und Sammann eingeweiht und Suur Asquin überredet, beide Augen zuzudrücken, während wir an ihrem Dotat einige vorübergehende Veränderungen vornahmen.
Das vierte Messale zur Pluralität der Welten begann normal: Nach einem Getränk wurde die Suppe serviert. Barb und Emman gingen in die Küche zurück. Nicht lange danach wurde Orhan per Seilzug gerufen. Tris folgte ihm hinaus. Eine Minute später spürte ich an meinem Seil eine kodierte Abfolge von Zupfern, die mich davon unterrichteten, dass in der Küche alles nach Plan verlaufen war: Der Eintopf, den Orhan gekocht hatte, war von dem ungeschickten Barb »unabsichtlich« umgestoßen worden. Angesichts dieser Ablenkung und des Lärms, den Tris und Emman mit einigen Töpfen und Pfannen veranstalteten, würde Orhan wohl kaum auffallen, dass aus dem Lautsprecher nichts mehr kam.
Ich nickte über den Tisch hinweg Arsibalt zu.
»Entschuldige, Fraa Zh’vaern, aber du hast vergessen, dein Tischgebet zu sprechen«, verkündete Arsibalt mit deutlicher Stimme.
Das Gespräch kam zum Erliegen. Das Messale war bis zu diesem Zeitpunkt ungewöhnlich ruhig verlaufen, als versuchten alle Doyns, sich eine Möglichkeit einfallen zu lassen, wie der Dialog unter Umgehung des schwierigen Gebiets, auf das Zh’vaern uns gestern Abend zu locken versucht hatte, wieder in Gang gebracht werden konnte. Doch selbst beim chaotischsten Messale wäre jede unerbetene Äußerung von Seiten eines Servitors grob ungehörig gewesen; die von Arsibalt war es ihres Inhalts wegen umso mehr. Während alle noch sprachlos waren, fuhr er fort: »Ich habe die Überzeugungen und Praktiken der Matarrhiten studiert. Sie nehmen niemals Essen zu sich, ohne ein Gebet zu sprechen, das mit einer Geste endet. Du hast weder das Gebet gesprochen noch die Geste vollführt.«
»Na und? Ich habe es eben vergessen«, sagte Zh’vaern.
»Du vergisst es jedes Mal«, gab Arsibalt zurück.
Ignetha Foral bedachte Paphlagon mit einem Blick, der besagte:
Wann wirst du deinen Ser vitor mit dem Buch bestrafen?, und tatsächlich warf Paphlagon nun seine Serviette auf den Tisch und schickte sich an, seinen Stuhl zurückzuschieben. Doch Fraa Jad langte nach seinem Arm und hielt ihn fest.
»Du vergisst es jedes Mal«, wiederholte Arsibalt, »und wenn du möchtest, kann ich noch beliebig viele andere Gelegenheiten aufzählen, bei denen ihr beide, du und Orhan, das Verhalten von Matarrhiten unvollkommen nachgeahmt habt. Liegt das vielleicht daran, dass ihr in Wirklichkeit gar keine Matarrhiten seid?«
Unter der Kapuze bewegte sich Zh’vaerns Kopf. Er warf einen Blick auf die Tür. Nicht diejenige, durch die er und die anderen Doyns eingetreten waren, sondern diejenige, durch die Orhan hinausgegangen war.
»Dein Aufpasser kann uns nicht hören«, sagte ich ihm, »das Mikrophonkabel ist von einem Ita-Freund von mir durchtrennt worden. Das Signal wird nicht mehr übertragen.«
Immer noch blieb Zh’vaern stumm und regungslos sitzen. Ich nickte Suur Karvall zu, die einen Wandteppich zur Seite zog, unter dem ein glänzendes Geflecht aus Metalldrähten zum Vorschein kam, mit dem wir die Wand verkleidet hatten. Ich trat um den Tisch herum auf Zh’vaern zu, schob die Fußspitze unter den Rand des Teppichs und schlug ihn hoch, worauf auch auf dem Fußboden Drahtgeflecht sichtbar wurde. Zh’vaern registrierte das alles. »Das ist ein Zaunbaumaterial, wie es bei der Haustierhaltung verwendet wird«, erklärte ich, »und extramuros en gros erhältlich ist. Es ist leitend – und geerdet.«
»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Ignetha Foral.
»Wir befinden uns in einem Saunt-Bucker-Korb!«, rief Moyra aus. Ihr Leben als überaus hochrangige, schon halb im Ruhestand befindliche Loritin bot wahrscheinlich nur wenige unerwartete Ereignisse, und daher kam ihr selbst etwas so Triviales wie die Entdeckung, dass sie von Maschendraht umgeben war, wie ein ziemliches Abenteuer vor. Allerdings, glaube ich, freute sie sich auch darüber, dass die Servitoren sich ihre Ermahnung zu Herzen genommen und etwas getan hatten, was den Doyns im Traum nicht eingefallen wäre. »Es handelt sich um ein geerdetes
Weitere Kostenlose Bücher