Anathem: Roman
hoch war, dass er ihn sehen konnte. Eine Klappe sprang auf. Wir fuhren alle zurück, als so etwas wie eine riesige Metallspinne mit zappelnden Beinen daraus hervorgeschossen kam. Beim zweiten Hinsehen erwies sie sich als skeletthafte Hand: Knochen, Gelenke und Sehnen ahmten die einer natürlichen Hand nach, doch sie bestand zur Gänze aus maschinell bearbeitetem, schwarz eloxiertem Metall und war hautlos, sofern man die schwarzen Gummiauflagen an den Fingerspitzen nicht mitzählte. Das alles entwuchs einem Handgelenk, das am Ende des Stumpfs befestigt war. Zunächst zuckte und zappelte es krampfhaft. Dann schien Arsibalt die Gelenke eines nach dem anderen unter Kontrolle zu bekommen, und es begann sich wie eine echte Hand zu bewegen. Sein anderer Arm hob sich, die Klappe sprang auf, und eine zweite Hand kam daraus hervor. Diese allerdings sah weniger menschlich aus: Sie war mit kleinen Werkzeugen besetzt.
»Erkläre, was du mit deinen Händen tust«, bat ich ihn.
»Die Enden der Ärmel sind geräumig«, sagte Arsibalt. »Da ist eine Art Handschuh, in den ich meine Hand stecken kann. Er ist mechanisch mit der Skeletthand verbunden, die ihr alle sehen könnt.«
»Rein mechanisch?«, fragte Sammann. »Keine Servogeräte?«
»Rein mechanisch«, sagte Jesry. »Überzeuge dich selbst.« Und wir scharten uns drum herum, um es uns genauer anzusehen. Belebt wurde die Skeletthand von einer Reihe von Metallbändern und Stößelstangen, die alle in dem Ärmelstumpf verschwanden, wo sie, wie wir annahmen, unmittelbar mit dem Innenhandschuh verbunden waren, den Arsibalt trug.
»In gewisser Weise simpel«, lautete Fraa Osas Urteil, »aber dennoch sehr komplex.«
»Ja. Mit Ausnahme der luftdichten Abschlüsse hätte das Ganze auch ein mittelalterlicher Handwerker herstellen können, wenn er viel Zeit gehabt hätte«, sagte Jesry. »Zum Glück verfügt die mathische Welt über eine Vielzahl von mittelalterlichen Handwerkern. Und ob du es glaubst oder nicht, es ist einfacher, so etwas zu bauen,
als einen Handschuh für einen Überdruckanzug herzustellen, der wirklich etwas taugt.«
»Im Ende des Stumpfs sind noch andere Regler«, meldete sich Arsibalt. »Wenn ich die Hand aus dem Handschuh ziehe …« Die Skeletthand wackelte, dann erschlaffte sie. Sie schnellte in das Aufbewahrungsfach am Ende des Stumpfs zurück, und die Klappe schloss sich. »Jetzt«, sagte Arsibalt, »taste ich auf der Innenfläche des Stumpfs herum, die mit allen möglichen Knöpfen und Schaltern ausgestattet ist.«
»Sei vorsichtig damit«, regte Jesry an. »Die meisten Funktionen des Anzugs werden über Stimmbefehle gesteuert, aber es gibt manuelle Umgehungsschalter, an denen du besser nicht herumfummelst.«
»Wie sollen wir denn diese ganzen Knöpfe und den Kram auseinanderhalten, wenn wir sie nicht sehen können?«, fragte Arsibalt, und auf dem Spuloschirm konnten wir seine Augen sinnlos herumwandern sehen, während er sich tastend in dem Stumpf zurechtzufinden versuchte.
»Die meisten bilden eine Tastatur, auf der man mit den Fingerspitzen alphanumerische Daten eingeben kann. Sammann wird sie sofort benutzen können. Wir anderen werden nach dem Adlersuchsystem vorgehen müssen.«
»Also«, fragte ich, »was meinst du denn insgesamt so? Wie fühlt es sich an?«
»Überraschend bequem.«
»Wie du sicher bemerkt hast, berührt dich der Anzug an relativ wenigen Stellen«, sagte Jesry. »Das dient der Bequemlichkeit, und außerdem lässt sich deine Kerntemperatur auf diese Weise mit einer einfachen Klimaanlage regeln – macht das Röhrensystem überflüssig, das der Himmelswart tragen musste. Aber wo er dich berührt, packt er dich richtig – sag die Worte Ausscheidungsbeseitigungszyklus starten.«
»Ausscheidungsbeseitigungszyklus starten«, wiederholte Arsibalt, und seine Bangigkeit nahm zu, je näher er dem Ende dieser ungelenken Formulierung kam. Auf einer Statusanzeige unter dem Spulo von seinem Gesicht erschien das Wort AUSSCHEIDUNGSBESEITIGUNGSZYKLUS. Er bekam große Augen. »Ach du lieber Gott!«, rief er aus.
Alles lachte. »Möchtest du erklären, was gerade passiert?«, sagte Jesry.
»Diese Luftsäcke, die du mir vorhin gezeigt hast – sie haben sich aufgeblasen. Um meine Taille und meine Oberschenkel.«
»Dein Unterleib ist jetzt vollständig vom Rest des Anzugs isoliert«, sagte Jesry.
»Das kannst du laut sagen!«
»Du kannst jetzt tun, was immer getan werden muss.«
»Diesen Teil der Demonstration können wir, glaube ich,
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