Anathem: Roman
scheinst«, sagte Jesry, »könntest du uns vielleicht verraten, wie vier Beine und ein Dach eine unter Überdruck stehende Atmosphäre einkapseln sollen!«
»Das heißt nicht Mannjifiek«, wandte Lio sanft ein, »sondern – ach, was soll’s.«
»Wir werden nur Raumanzüge haben, richtig?«, fragte Jules und sah Lio an.
Lio nickte. »Jules hat es kapiert. Da wir sowieso Raumanzüge komplett mit Lebenserhaltungssystem, sanitären Einrichtungen und allem anderen brauchen, wäre es redundant, eine Überdruckkapsel hochzuschicken, die zusätzliche Kopien derselben Systeme enthält.«
Ich rechnete damit, dass Jesry weitere Proteste anbringen würde, aber er erlebte eine plötzliche Bekehrung und hob beide Hände, um das Gemurmel zum Schweigen zu bringen. »Ich war dort«, rief er uns in Erinnerung, »und ich kann euch sagen, dass das Erlebnis, eine Raumkapsel mit anderen zu teilen, nichts hat, was ich unbedingt noch einmal erleben möchte. Ihr wisst nicht, was das Wort ›widerlich‹ bedeutet, solange euch nicht ein durch die Luft schwebender Klumpen vom Erbrochenen eines anderen ins Gesicht geklatscht ist. Davon, was da als Toilette gilt, will ich gar nicht erst anfangen. Wie schwierig es ist, durch diese winzigen Fenster etwas zu sehen. Ich finde, es ist eine großartige Idee: Jeder von uns ist in seinem eigenen persönlichen Raumschiff eingeschlossen, behält seine Fürze für sich und genießt den Panoramablick durch das Visier.«
»Wie lange kann man in einem Raumanzug überleben?«, fragte ich.
»Das wird euch begeistern«, verkündete Jesry, der auf ein Nicken von Lio hin das Wort ergriff. Er ging zu der Stelle hinüber, wo er
mithilfe von Fraa Gratho seit ungefähr einer Stunde Raumanzüge zusammengebaut hatte. Er näherte sich einem, der komplett zu sein schien, und schlug mit der flachen Hand auf einen grünen Metallbehälter, der in einer Fassung im Rucksack des Anzuges saß. »Flüssiger Sauerstoff! Ein Vierstundenvorrat, hier drin.«
»Vorausgesetzt, man verwendet ihn diszipliniert«, warf Suur Vay ein.
»Flüssig!? Also auf Tiefsttemperatur heruntergekühlt?«, fragte Sammann.
»Natürlich.«
»Wie lange wird er kalt bleiben?«
»Im Weltraum? Das ist nicht so problematisch. Er wird kalt bleiben, solange die Treibstoffzelle Treibstoff zur Versorgung des Kühlers hat.« Er klopfte auf einen roten Behälter und fuhr fort: »Flüssigwasserstoff. Leicht an- und abzumontieren.« Er schraubte ihn ab, zeigte uns irgendeinen komplizierten Einrast- und Dichtungsmechanismus und schraubte ihn wieder an.
»Wir konkurrieren also mit einer Treibstoffzelle um den verfügbaren Sauerstoff?«, fragte Arsibalt.
»Sieh es lieber als Kooperation.«
»Was ist mit Abfallprodukten?«, fragte jemand, aber Jesry war darauf vorbereitet. »Kohlendioxid wird hier entfernt.« Er schraubte eine weiße Dose ab und zeigte sie herum. »Wenn sie verbraucht ist, macht ihr eine neue dran. Dann – das wird euch gefallen – bringt ihr die alte zur Versorgungseinheit.« Er ging hinüber zu einem gesonderten Ausrüstungsgegenstand, der so aussah, als gehörte er zur selben Gattung wie die Raumanzüge, aber zu einer anderen Spezies. Er wies überall farbkodierte Stutzen für Tanks und Kanister auf. Auf einen davon setzte Jesry den Kohlendioxidentferner. »Er backt das CO 2 aus dem Entferner heraus. Wenn dieser Streifen die Farbe gewechselt hat« – er deutete auf einen Indikator auf der Dose -, »kann man das Ding wieder benutzen.«
»Dieses Gerät ist außerdem ein Luft- und Treibstoffreservoir?«, fragte Suur Vay und beäugte die Anschlüsse für Sauerstoff- und Wasserstoffbehälter.
»Wenn es welchen gibt, bekommt ihr ihn hier«, sagte Jesry. »Das Ganze soll mit einem Wasserbehälter und einer Energieversorgung verbunden werden – normalerweise eine Solaranlage, in unserem Fall aber ein kleiner Reaktor. Das Gerät spaltet das Wasser in Wasserstoff
und Sauerstoff auf, verflüssigt beides und befüllt jeden Tank, den ihr daran anschließt. Und es bereitet mittels Hitze die Kohlendioxidentferner auf, wie ich schon gesagt habe. Wenn eure Ausscheidungsbeutel voll sind – über die reden wir später -, schließt ihr sie hier an …« Er deutete leicht angewidert auf eine Reihe gelber Anschlüsse.
»Willst du damit etwa sagen, dass wir in den Anzügen defäkieren?«, fragte Arsibalt.
»Danke, dass du dich freiwillig bereit erklärt hast, dieses erstaunliche Ausstattungsmerkmal der Praxik zu demonstrieren!«, verkündete Jesry.
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