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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Greifarmkamera ein«, sagte ich, und der Blick durch mein Helmvisier wurde von einem virtuellen Display in juwelenartigen Laserfarben verstellt: ein grünes Gitter mit einem roten Fadenkreuz in der Mitte. Es war das Bild eines hinten an meinem Mannjifiek angebrachten Spulocorders. Ich überprüfte meinen Steigungswinkel und drehte dann die Rollkugel, bis der Winkel um hundertachtzig Grad zugenommen hatte. Die Nutzlast kam in Sicht. Sie befand sich jetzt direkt hinter mir. »Greifarm eins zünden«, sagte ich und spürte einen leichten Tritt ins Hinterteil, als ein kleiner Zylinder mit komprimiertem Gas brach. Das Greifsystem bestand aus einem langen, dünnen Geweberohr, das wie ein Strumpf zusammenund ineinandergeschoben war. Wenn das Gas hineinschoss, streckte sich das Rohr blitzschnell und wurde zu einem langen, starren Ballon. An seinem Ende befand sich ein Kopf, an der Spitze gerundet,
sodass er sich durch die Wolke von Netzgewebe bohren würde, die eine Nutzlast umgab, jedoch mit Stacheln ausgestattet, die unter Federdruck hervorsprangen, wenn das Rohr voll ausgefahren war oder gegen etwas stieß.
    Aufgrund meiner beschränkten Sicht durch die hintere Kamera war ich mir ziemlich sicher, dass alles funktioniert hatte. Aber um wirklich sicherzugehen, gab es nur eine Möglichkeit. »Hintere Greifarmkamera aus«, sagte ich und gab Vorwärtsschub. Einige Sekunden lang, glaube ich, schlug mein Herz überhaupt nicht. Dann verriet mir ein leichter Ruck nach hinten, dass mein Greifarm das Netzgewebe gefasst hatte. Ich erlaubte mir einen Freudenschrei, dann checkte ich erneut den Ballon.
    Arsibalt berichtete: »Jad ist mit der Nutzlast verschweißt. Ich kriege die beiden nie auseinander.«
    Lio: »Was heißt hier verschweißt?«
    Arsibalt: »Als es ihn dagegengetrieben hat, ist das blaue Plastiknetzgewebe mit dem heißen Düsenring an seinem Mannjifiek in Berührung gekommen und geschmolzen – daran festgeklebt. Ich versuche, die beiden Nutzlasten in einem an den Haken zu nehmen.«
    Lio: »Hast du ausreichend Treibstoff für die nötige Brennphase?«
    Arsibalt: »Das sage ich dir gleich.«
    Lio: »Ich bin unterwegs. Verbrauche auf keinen Fall deinen ganzen Treibstoff. Wir wissen ja noch nicht mal, ob Jad noch am Leben ist.«
    »Siebzehn Minuten bis Sichtverbindung.«
    Reichlich Zeit. Mit der hinter mir schwebenden Nutzlast orientierte ich mich wie zuvor und gab Vorwärtsschub, womit ich den Schaden korrigierte, den ich meiner Umlaufbahn vor einigen Augenblicken zugefügt hatte. Das erforderte mehr Treibstoff – eine längere Brennphase -, weil ich nun die doppelte Masse bewegte. Ein wenig nervös machte mich das schon, weil eine lange Brennphase einen großen Fehler bedeutete, falls ich mich vertan hatte. Ich behielt den Exzentrizitätswert unten auf meiner Anzeige im Auge. Er lag schon um 0,005, aber ich musste ihn auf weniger als 0,001 drücken, um halbwegs synchron mit allen anderen zu bleiben.
    In meinen Kopfhörern konnte ich hören, wie andere ähnliche Berechnungen anstellten. Arsibalt, bekam ich mit, war es gelungen, Jad und die Nutzlast, an der dieser festhing, an den Haken zu nehmen, und er versuchte nun, das Gleiche zu tun wie ich, wobei er Lio Zahlen zurief und Lio sich in eine Position manövrierte, aus der heraus
er Arsibalt, falls erforderlich, retten konnte. Unterdessen überwachte Jesry den Verkehr, berechnete, wie viel Treibstoff benötigt werden würde, und machte Vorschläge, die sich im Fortgang des Abenteuers zu Befehlen verhärteten. Das alles lenkte mich ernsthaft ab, weshalb ich widerstrebend meine Funkverbindung abschaltete und mich auf meine eigene Situation konzentrierte.
    Erst als ich meine unter 0,001 gedrückt hatte, nahm ich die Hände von der Steuerung und sah mich nach dem Ballon um. Nach einigen Augenblicken heftiger Angst, in denen ich glaubte, er wäre gar nicht da, fand ich ihn rechts »oben« von mir in tausend Fuß Entfernung, und er kam langsam näher. »Unter« ihm bildete sich eine Traube aus blauem Netzgewebe, während andere Mitglieder von Zelle 317 Nutzlasten einbrachten. Wo ich nun schon so nahe war, warf ich einen Blick in die Runde, um festzustellen, ob noch andere greifbar waren.
    »Fünfzehn Minuten bis Sichtverbindung.«
    Den Kontakt zu Arsibalt und Lio hatte ich verloren, aber auf meinem Display erschienen mehrere andere Ikons, während ich in Reichweite des Retikels kam. Ich schaltete die Sprechverbindung wieder ein – nicht ohne heftige Beklommenheit, da ich nicht

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