Anathem: Roman
als hätten wir einen Pommesbudenbesitzer Mittelorth sprechen hören.
Durch das Geknatter der Maschine drangen weitere Fragmente hindurch: »kubischer Spline«, »Evolute«, »pylanische Interpolation«.
Wir konnten unsere Blicke nicht von den in Reihen angeordneten
roten Zahlen auf der Vorderseite des syntaktischen Prozessors wenden. Sie änderten sich fortwährend. Eine gehörte zu einer Uhr, die in Hundertstelsekunden abwärts zählte. Andere gaben – wie wir mit der Zeit bemerkten – die Position des Tisches wieder. Sie waren im wahrsten Sinne des Wortes Übertragungen der x- und y-Position des großen Tisches, der Rotationswinkel und der Neigung des kleineren Tisches in der Mitte und der Höhe der zischenden Schießmaschine. Manchmal erstarrten sie alle bis auf eine – das signalisierte eine einfache lineare Bewegung. Dann wieder veränderten sich alle auf einmal, die Veranschaulichung eines Systems parametrischer Gleichungen.
Jesry und ich schauten sie uns eine halbe Stunde lang an, ohne ein Wort zu sprechen. Die meiste Zeit versuchte ich, mir darüber klar zu werden, wie die Zahlen sich veränderten. Mir ging aber auch durch den Kopf, dass dieser Ort in vielerlei Hinsicht dem Mynster ähnelte, mit seiner heiligen Uhr in der Mitte, in ihrem Lichtschacht.
Dann schlug gewissermaßen die Uhr. Der Countdown endete bei Null, und das Licht ging aus.
Cord streckte die Hand hoch und warf den Vorhang zurück. Sie zog eine Schutzbrille ab und hob einen Arm, um sich die Stirn am Ärmel abzuwischen.
Der Mann neben ihr – vermutlich der Kunde – trug eine weite schwarze Hose, einen schwarzen langärmeligen Pullover und auf dem Kopf ein schwarzes Käppchen. Jesry und mir wurde im selben Moment klar, was er war. Wie vom Donner gerührt, standen wir da.
Der Ita erkannte ebenfalls, was wir waren, und trat einen halben Schritt zurück. Als sein Mund aufging, fiel ihm der lange schwarze Bart in einer Kaskade über die Brust. Doch dann tat er etwas Bemerkenswertes, indem er nämlich den Impuls, sich zu ducken und vor uns davonzueilen, der ihm seit seiner Geburt eingebläut worden war, bezwang. Er besann sich eines Besseren, was diesen halben Schritt betraf, nahm seine vorherige Position wieder ein und – kaum zu glauben, aber Jesry und ich waren uns später darin einig – funkelte uns an.
Unschlüssig, wie wir damit umgehen sollten, wichen Jesry und ich zurück und hielten uns außer Hörweite, während Cord eine kleine notwendige Routinearbeit nach der anderen erledigte und das Ausschalten der Maschine und die Vorbereitung auf das Wiedereinschalten wie einen Aut zelebrierte.
Der Ita nahm das Käppchen – mit dem sie ihren Kopf bedeckten, wenn sie unter sich waren – ab und zog es zu einem leicht pilzförmigen Ofenrohr auseinander, das sie trugen, wenn sie unterwegs waren, damit wir sie schon von ferne erkennen konnten. Das setzte er sich mit einem weiteren herausfordernden Blick in unsere Richtung wieder auf.
So wie wir die Ita niemals in den Chor kommen lassen würden, betrachtete er es als Sakrileg, dass wir hierhergekommen waren. Als hätten wir uns einer Entweihung schuldig gemacht.
Vielleicht einem ähnlichen Impuls gehorchend, zogen Jesry und ich unsere Kapuzen über.
Statt unter dem Klischee des hinterlistigen, durchtriebenen, schurkischen Ita zu leiden, machte dieser hier es sich zu eigen – er war stolz darauf und trieb es so weit, wie er konnte, ohne tatsächlich mit uns zu sprechen.
Während wir darauf warteten, dass Cord und der Ita ihr Geschäft zum Abschluss brachten, dachte ich immer wieder daran, auf welch vielfältige Weise dieser Ort dem Mynster ähnelte, wie verblüfft ich zum Beispiel gewesen war, als ich die Halle betrat, die so dunkel und so hell zugleich war. Eine Stimme in meinem Kopf – die Stimme eines prokischen Pedanten – warnte mich vor dieser halikaarnischen Art zu denken. In Wahrheit sah ich nämlich eine Sammlung alter Maschinen vor mir, die keine Bedeutung hatte: nur Syntax, keine Semantik. Ich behauptete, eine Bedeutung darin zu sehen. Aber diese Bedeutung besaß außerhalb meines Bewusstseins keine Realität. Ich hatte sie in meinem Kopf in die Halle mitgebracht und spielte jetzt mit der Semantik, indem ich diesen eisernen Denkmälern meine Bedeutung anheftete.
Doch je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich, dass ich gerade eine berechtigte Draufsicht hatte.
Protas, der bedeutendste Fid des Thelenes, war auf die Spitze eines Berges nahe Ethras
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