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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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gestiegen, von wo aus er in die Ebene hinabschaute, die den Stadtstaat ernährte; er hatte die Schatten der Wolken beobachtet und deren Formen verglichen. Dann war ihm seine berühmte Draufsicht gekommen, dass die Formen der Schatten zwar ohne Zweifel denen der Wolken entsprachen, Letztere jedoch unendlich komplexer und vollkommener gestaltet waren als Erstere, die nicht nur dadurch deformiert waren, dass ihnen eine räumliche Dimension fehlte, sondern auch dadurch, dass sie auf
ein unebenes Gelände geworfen wurden. Beim Abstieg hatte er diese Draufsicht erweitert, indem er festgestellt hatte, dass der Berg jedes Mal, wenn er sich zu ihm umwandte, eine andere Form zu haben schien, und das, obwohl er wusste, dass er nur eine absolute Form besaß und diese scheinbaren Veränderungen lediglich die Folgen seines wechselnden Blickwinkels waren. Von dort war er zu seiner größten Draufsicht überhaupt gelangt, nämlich, dass diese beiden Beobachtungen – die eine bezüglich der Wolken, die andere bezüglich des Berges – selbst Schatten waren, die von derselben größeren, verbindenden Vorstellung in sein Bewusstsein geworfen worden waren. Auf die Periklyne zurückgekehrt, verkündete er seine Lehre, nach der all die Dinge, die wir zu kennen glauben, Schatten vollkommenerer Dinge in einer höheren Welt sind. Das war zur maßgeblichen Doktrin des Protismus geworden. Wenn nun Protas mit dieser Aussage auf Anerkennung stieß, was war dann falsch an meiner Vorstellung, dass unser Mynster und diese Maschinenhalle beide Schatten von etwas Höherem waren, das woanders existierte – einem geweihten Ort, von dem sie beide Schatten waren und der andere Schatten an Orte wie Bazische Archs und uralte Haine warf?
    Jesry hatte unterdessen Cords Maschine angestarrt. Cord hatte ein paar Regler betätigt, woraufhin der Blitzkopf sich so weit es ging nach oben zurückzog und der Tisch sich nach vorne schob. Mit einem Satz sprang sie auf diese Stahlplatte. Mit kleinen wohlbedachten Schritten kam sie zu dem Teil davon, der sich neigte und drehte (selbst eine Maschine von beeindruckender Größe). Mit dem Fuß verteilte sie zu beiden Seiten Bruchstücke und Spiralen aus silbernem Metall. Die machten auf ihrem Weg zum Fußboden eine glitzernde Musik, und manche hinterließen Korkenzieher aus feinem Rauch. Ein Gehilfe näherte sich mit einem leeren Karren, einem Besen und einer Schaufel und fing an, den Abfall zu einem Haufen zusammenzuschieben.
    »Hier wird das Metall von einem Block abgeschnitten«, sagte Jesry. »Nicht mit einer Klinge, sondern mittels elektrischer Entladung, die das Zeug wegschmilzt …«
    »Mehr als das. Erinnerst du dich an die Farbe des Lichts?«, sagte ich. »Es verwandelt das Metall in …«
    »Plasma«, sagten wir unisono, und Jesry fuhr fort: »Die Maschine schneidet einfach alle unerwünschten Stückchen ab.«
    Das warf die Frage auf, was denn erwünscht war. Die Antwort
war oben auf den rotierenden Tisch geklemmt: eine Skulptur aus silbernem Metall, fließend und geschwungen wie ein Geweih und an manchen Stellen zu Knöpfen angeschwollen, in die vollkommene, zylindrische Löcher gebohrt waren. Cord zog einen Schraubenschlüssel aus dem Ding, das sie anhatte und das mehr nach einer Rüstung als nach Kleidung aussah, da sein Hauptzweck darin bestand, Werkzeug an ihrem Körper zu befestigen. Sie löste drei Schraubzwingen, steckte den Schraubenschlüssel wieder in die für ihn bestimmte Tasche, straffte die Schultern, beugte die Knie, richtete die Wirbelsäule auf, hob die Hände und umfasste zwei Enden dieses Gegenstands, den sie gefertigt hatte. Er ließ sich vom Tisch abnehmen. Wie eine von einem Baum gerettete Katze trug sie ihn von der Maschine hinunter und setzte ihn auf einen Stahlkarren, der uralt aussah. Der Ita fuhr mit der Hand darüber. Sein hoher Hut drehte sich mal in die eine, mal in die andere Richtung, während er sich bückte, um sich bestimmte Einzelheiten näher anzuschauen. Dann nickte er, wechselte ein paar Worte mit Cord und schob den Karren hinaus in Rauch und Stille.
    »Es ist ein Teil für die Uhr!«, sagte Jesry. »Unten im Keller muss etwas kaputtgegangen oder abgenutzt sein!«
    Ich fand auch, dass das Ding in seiner Machart an einige Teile der Uhr erinnerte, brachte ihn aber zum Schweigen, weil Cord mich jetzt mehr interessierte. Sie kam auf uns zu, wobei sie fast, aber nur fast auf herumliegende Metallstücke trat und sich die Hände an einem Lappen abwischte. Ihr Haar war kurz

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