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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ich von diesem Spannglied sehen konnten, war die Innenfläche eines Schachts von zehn Fuß Durchmesser, aber aus Gesprächen mit Jules wussten wir, dass das Spannglied als Ganzes über hundert Fuß dick war und vollgestopft mit Strukturelementen und Details, die sich unserem Blick entzogen – auf die es jedoch reichlich Hinweise in Form einer verwirrend vielfältigen Serie von Luken, Ventilrädern, Schaltdiagrammen, Sichtanzeigen, Steuerpulten und Hinweiszeichen gab, die schimmernd an uns vorbeihuschten, während wir dahinflogen. Da es für Neulinge wie uns unmöglich war, genau die Mittelachse einzuhalten, irrten wir dabei von einer Seite zur anderen ab. Jedes Mal, wenn wir auf Abklatschdistanz an einen geeigneten Handgriff herankamen, misshandelten
wir ihn ein wenig, legten an Tempo zu und holten, während wir auf den nächsten zutrieben, mehrfach tief Atem. Ungefähr auf halber Strecke begegneten wir einer Gruppe von vier Geometern, die, als sie uns kommen sahen, Handgriffe packten und sich an die Wand drückten, um Platz zu machen. Während wir vorbeiflogen, riefen sie Fragen – jedenfalls vermutete ich das -, doch uns blieb wenig anderes übrig, als sie zu ignorieren.
    Die Luke am Ende führte in eine kuppelartige Kammer von ungefähr hundert Fuß Durchmesser: bei Weitem der größte offene Raum, den wir bis jetzt gesehen hatten. Ich wusste, dass es sich um die vordere Lagerkammer handeln musste. Das wurde durch den Umstand bestätigt, dass sie im Boden einen Nabel von vielleicht zwanzig Fuß Durchmesser hatte und dass alles, was wir auf dessen anderer Seite sehen konnten, sich drehte. Wir hatten das vordere Ende des Kerns erreicht. Für uns unsichtbar umgab uns das riesige Lager, das den sich drehenden Kugelstapel mit dem sich nicht drehenden Komplex aus Ikosaeder und Spanngliedern verband, der ihn schützte.
    Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Ein halbes Dutzend Spanngliedschächte führten über riesige, in die gewölbte »Decke« eingelassene Portale in diese Kammer. Fraa Jad und ich waren gerade aus einem davon gekommen. Der angrenzende stand im Mittelpunkt gewaltiger Aktivität und Aufmerksamkeit – es sah aus wie in einem jener Säle in Großstädten, in denen mit Aktien gehandelt wird. Das war natürlich der Spanngliedschacht, der zum Weltenverbrennerkomplex führte – oder dem, was davon übrig war, nachdem sich die Thaler seiner angenommen hatten. In einer Frequenz von etwa zwei pro Sekunde flogen Leute in ihn hinein oder kamen aus ihm heraus – es ging zu wie am Eingang eines Hornissennests im Hochsommer. Die meisten derjenigen, die hineingingen, trugen Waffen oder Werkzeuge. Einige von denen, die herauskamen, waren verletzt. In der Lagerkammer kollidierte der Strom der Hineingehenden mit dem der Herauskommenden, und andere versuchten, Ordnung in das Durcheinander zu bringen, Leuten zu sagen, wo sie hingehen und was sie tun sollten, ohne damit nach meiner Wahrnehmung jedoch mehr zu bewirken, als dass sie am Ende miteinander stritten. Das allgemeine Chaos machte es Fraa Jad und mir fast zu leicht, uns durch die Kammer zu bewegen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Eigentlich bestand mein einziges Problem darin,
den Tausender von anderen Männern in Feuerwehrausrüstung zu unterscheiden. Doch nach einem kurzen Moment der Sorge, in dem ich befürchtete, ihn verloren zu haben, erspähte ich einen Feuerwehrmann mit seiner Statur, der in meine Richtung schaute und auf den Boden der Kammer zeigte, als den ich mir die ebene Fläche mit dem großen Loch in der Mitte inzwischen dachte.
    Das Loch wurde kleiner.
    Wie Jules erklärt hatte, hatten die Konstrukteure der Daban Urnud jedes Mal, wenn sie eine Verbindung zwischen größeren Teilen des Kerns hatten herstellen müssen, ein Kugelventil verwendet: eine Kugel mit einem dicken Loch mittendurch, festgehalten in einer sphärischen Höhlung, die die beiden fraglichen Räume miteinander verband. Die Kugel konnte nirgendwohin, war jedoch frei drehbar. Je nachdem, wie das Loch in ihrer Mitte ausgerichtet war, erlaubte sie freien Durchgang oder bildete ein undurchdringliches Hindernis. Ein solches »Ventil« war in den Boden dieser Kammer eingelassen. Es war so riesig, dass ich es zunächst gar nicht als das erkannt hatte, was es war. Nun aber, da es sich in Bewegung gesetzt hatte, waren seine Beschaffenheit und seine Funktion vollkommen klar. Es bewegte sich gemächlich, aber bis Fraa Jad es geschafft hatte, meine Aufmerksamkeit darauf zu lenken, war das

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