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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Kullen flattern ließ.
    Während wir auf die anderen warteten, stand ich in dem Portal und betrachtete die Theatermaschinerie hinter dem blauen Stoff des falschen Himmels, die Glasfaserbündel, die das Licht heranführten. Die Sonne war hell, aber kalt; man hatte sämtliches Infrarotlicht herausgefiltert. Wärme kam stattdessen vom Himmel selbst, der wie eine extrem niedrig eingestellte Tieftemperaturheizung eine sanfte Wärme abstrahlte. Hier oben spürten wir sie stark und waren dankbar für den Wind.
    Es folgte eine weitere Sesselliftfahrt hinunter auf den Hausbootteppich von Kugel elf, ein kurzer Fußmarsch durch diesen hindurch und eine ebensolche Fahrt hinauf zum nächsten Portal und in Kugel zwölf: von den vier laterranischen Kugeln die mit der höchsten Bevölkerungszahl und die am weitesten achtern liegende. Daher gab es hier kein nächstes Portal; wir hatten den Bremswagen erreicht. Doch trug der Himmel hier einen Laufsteg nebst Leiter, der uns im Bogen »nach oben« zu einem Portal im »höchsten« Teil des Himmels – dem Zenit – führte. Die Schwerkraft war hier spürbar schwächer, weil wir dem Kern näher waren. Wir verweilten auf dem ringförmigen Laufsteg unter dem Portal, der bis auf die letzte
Niete demjenigen in Kugel eins glich, auf dem Fraa Jad mit einer Schrotflinte angeschossen worden war. Ich blickte mich um, sah Einzelheiten, an die ich mich deutlich »erinnerte«, und pflanzte den Hintern auf das Geländer, um das Gefühl mit meiner »Erinnerung« an das Darübergestoßenwerden zu vergleichen.
    Jules musste sich in einer Sprache, von der ich annahm, dass es sich um Urnudisch handelte, an einem Spulo-Terminal identifizieren und jemandem sein Anliegen nennen. Der Führer der Soldaten mischte sich mit barsch geblafften Sätzen ein. Wir fünf mussten uns nacheinander vor die Maschine stellen und unser Gesicht abtasten lassen. Während wir warteten, musterten wir das Kugelventil, das sich aus unserer Perspektive in der Decke, genau über unseren Köpfen, befand. Für mich war es ein alter Hut. In seiner Konstruktion erkannte ich den wuchtigen, auftrumpfenden praxischen Stil – nennen wir ihn Schwerer Interkosmischer Urnudischer Raumbunker -, der die äußere Gestalt des Raumschiffs und den Kern dominierte, den Kugeln aber glücklicherweise fehlte.
    Heute würde sich das große Stahlauge nicht für uns öffnen. Stattdessen würden wir eine runde Luke benutzen, die gerade breit genug war, um Arsibalt oder einen troänischen Soldaten in seiner sperrigen Ausrüstung durchzulassen. Sie wurde irgendwann per Fernbedienung geöffnet, und wir stellten uns an, um hindurchzuklettern.
    »Eine Drohung«, schnaubte Jesry mit einer Kopfbewegung zu dem gewaltigen Kugelventil hin. Ich kannte seinen Ton: er ärgerte sich, dass er so lange gebraucht hatte, um dahinterzukommen. Ich muss wohl verblüfft dreingeschaut haben. »Ich bitte dich«, sagte er, »warum würde ein Praxiker es so konstruieren? Warum ein Kugelventil verwenden und nicht etwas anderes?«
    »Ein Kugelventil funktioniert auch dann noch, wenn zwischen seinen beiden Seiten ein großer Druckunterschied herrscht«, sagte ich, »das Kommando könnte also den Kern evakuieren – ihn zum Raum hin öffnen – und dann dieses Ventil öffnen und die ganze Kugel töten. Ist das dein Gedanke?«
    Jesry nickte.
    »Fraa Jesry, deine Erklärung ist übertrieben zynisch«, sagte Arsibalt, der zugehört hatte.
    »Ach, ich bin sicher, dass es noch andere Gründe dafür gibt«, sagte Jesry, »aber es ist trotzdem eine Drohung.«

    Einer nach dem anderen erstiegen wir eine Leiter durch die kleine Nebenluke, dann ging es eine kurze senkrechte Röhre hinauf und durch eine zweite Luke – eine Luftschleuse -, worauf wir uns auf einem weiteren ringförmigen Laufsteg an der Mündung zu dem senkrechten, zwölfhundert Fuß langen Schacht sammelten, der »über« uns zum Kern führte. Ich schaute nach dem Tastenfeld: genau da, wo ich es in Erinnerung hatte.
    Lio war als Erster hindurchgestiegen und legte so etwas wie eine gepolsterte Augenbinde an. Jules reichte auch uns anderen welche, als wir aus der Luftschleuse auftauchten. »Was soll das?«, fragte ich in scharfem Ton.
    »Damit euch von den Auswirkungen der Corioliskraft nicht schlecht wird«, sagte er. »Aber falls doch …« Er reichte mir eine Tüte. »Wenn ich es mir recht überlege, nimm lieber zwei – so, wie du gegessen hast.«
    Ein letzter Blick, bevor ich die Augenbinde anlegte. Wir schickten uns an, eine

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