Anathem: Roman
(allerdings sanfter) meinen Körper gegen seinen prallen und ließ mich auch mit ihm auf eine Umarmung ein. Inzwischen war Sammann aus dem Schacht von Kugel zwölf aufgetaucht und begrüßte sie beide in bester Stimmung. Natürlich gab es noch viel mehr, was ich zu Cord und Yul sagen wollte, aber der Mann mit dem Spulocorder hatte sich schon wieder so nahe herangepirscht, dass er uns – wenn auch aus einer respektvolleren Entfernung – ins Visier bekam, und das machte mich zugeknöpft. »Wir reden später«, sagte ich, und Yul nickte. Cord schien sich zunächst damit zu begnügen, mich lediglich anzuschauen, ihr Gesicht ein Labyrinth von Fragen. Ich fragte mich unwillkürlich, was sie wohl sah. Vermutlich war ich abgespannt und käsig. Im Gegensatz dazu hatte sie sich nach Kräften bemüht, sich dem Anlass entsprechend zu kleiden: Sämtlicher Schmuck aus bearbeitetem Titanium war im Einsatz, sie hatte sich eine neue Frisur zugelegt und ein Damenbekleidungsgeschäft geplündert. Aber sie war so vernünftig gewesen, nicht allzu sehr auf mädchenhaft zu machen, und kam mir immer noch wie Cord vor: barfuß, mit einem Paar Schuhe, die aneinandergeschnallt am Gürtel ihres Kleides hingen.
Nach und nach kamen andere heran: ein paar lächerlich schöne Menschen, die ich nicht erkannte. Einige alte Männer. Die Forals, die Arm in Arm heranschwebten, als unternähme man in ihrer Familie schon seit Jahrhunderten Spaziergänge in der Schwerelosigkeit. Drei Avot, von denen ich einen erkannte: Fraa Lodoghir.
Ich flog direkt auf ihn zu. Als er mich herankommen sah, entschuldigte er sich bei seinen beiden Begleitern und wartete an einem Handgriff an der Tunnelwand auf mich. Wir verschwendeten keine Zeit mit Höflichkeitsfloskeln. »Du weißt, was aus Fraa Jad geworden ist?«, fragte ich ihn.
Sein Gesicht äußerte sich noch eloquenter, als seine Stimme es vermochte – was viel heißen wollte. Er wusste Bescheid. Er wusste alles. Nicht die falsche Tarngeschichte. Er wusste, was ich wusste – was vermutlich hieß, dass er erheblich mehr wusste als ich -, und er befürchtete, dass ich drauf und dran war, mit irgendetwas herauszuplatzen. Aber ich hielt an dieser Stelle den Mund und gab
ihm mit einem kurzen Blick zu verstehen, dass ich diskret zu sein gedachte.
»Ja«, sagte Lodoghir. »Was können Avot von geringeren Fähigkeiten dazu sagen? Was bedeutet uns Fraa Jads Schicksal, was bringt es für uns mit sich? Was können wir daraus lernen, wie sollten wir unser eigenes Verhalten entsprechend ändern?«
»Ja, Pa Lodoghir«, sagte ich pflichtschuldig, »solcher Antworten wegen bin ich zu dir gekommen.« Ich konnte nur beten, dass er den Sarkasmus mitbekam, aber er gab es durch nichts zu erkennen.
»In gewisser Weise lebt ein Mann wie Fraa Jad sein ganzes Leben in der Vorbereitung auf einen solchen Moment, nicht wahr? All die tiefen Gedanken, die durch sein Bewusstsein gehen, all die Fähigkeiten und Kräfte, die er entwickelt, gestalten sich auf einen Höhepunkt hin. Wir allerdings sehen rückblickend nur den Höhepunkt.«
»Schön – aber wir wollen von den Aussichten sprechen. Darüber, was vor uns liegt und wie Fraa Jads Schicksal es für uns neu gestaltet. Oder machen wir so weiter, als wäre nichts geschehen?«
»Für mich besteht die praktische Konsequenz in der fortdauernden und immer effektiveren Zusammenarbeit zwischen den beiden Richtungen, die der Ungebildete unter den Bezeichnungen Rhetoren und Inkantoren kennt«, sagte Lodoghir. »Prokier und Halikaarnier haben, wie du weißt, in der jüngsten Vergangenheit zusammengearbeitet und dabei Ergebnisse erzielt, die für die wenigen, denen sie bekannt sind, zutiefst verblüffend waren.« Er starrte mir direkt in die Augen, als er das sagte. Ich wusste, dass er von der Änderung des Verlaufs der Weltspuren sprach, dank deren Fraa Jad zur selben Zeit in der Daban Urnud gewesen war, zu der man seinen Tod über Arbre verzeichnet hatte.
»Wie zum Beispiel die Entlarvung des Spions Zh’vaern«, sagte ich, nur um etwaige Überwacher von der Fährte abzubringen.
»Ja«, sagte er mit einem winzigen, verneinenden Kopfschütteln. »Und das dient als Zeichen dafür, dass eine solche Zusammenarbeit weitergehen muss und sollte.«
»Was, bitte schön, ist das Ziel dieser Zusammenarbeit?«
»Interkosmischer Friede und Einheit«, gab er dermaßen andächtig zurück, dass mir nach Lachen zumute war – aber diese Genugtuung würde ich ihm nie verschaffen.
»Zu welchen
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