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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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in der Mitte des großen Tunnels zu platzieren und dabei die Eigendrehung auszuschalten, sodass das gesamte Schiff um unseren Körper rotieren würde. Um dies zu schaffen, musste man sich zunächst behutsam von der Wand abstoßen und dann in der Luft schwimmen, um Anpassungen vorzunehmen. Entsetzlich unbeholfen wäre eine zutreffende Beschreibung unserer Bemühungen in den ersten fünf Minuten. Von dort gingen wir zu gefährlich stümperhaft über, da ich Lio beim Herumzappeln ins Gesicht trat und ihm zu einer blutigen Nase verhalf. Die troänischen Soldaten sahen mit wachsender Belustigung zu. Sie verstanden kein Wort von dem, was wir sagten, wussten aber genau, was wir vorhatten. Nachdem ich Lio getreten hatte, bekamen sie Mitleid mit uns – vielleicht hatten sie aber auch einfach nur Angst, wir würden uns ernsthaft verletzen und man würde sie dafür verantwortlich machen. Einer von ihnen winkte mich zu sich. Er packte mich mit der einen Hand an meiner Kord und mit der anderen im Nacken an meiner Kulle und versetzte mir einen sanften Stoß, verbunden mit einer leichten Drehbewegung. Als ich mitten im Tunnel schwebend zum Stehen kam, sah ich, dass ich dem Ziel näher war als je zuvor.
    Dann hörte ich Stimmen auf Fluckisch, blickte den Kern entlang und sah eine Gruppe von vielleicht zwei Dutzend Leuten auf uns zukommen. Die meisten schwebten die Mittelachse des Kerns entlang, anstatt die Laufbänder zu benutzen, sodass ich sie auch dann als Touristen erkannt hätte, wenn sie nicht fluckisch gesprochen hätten. Einer von ihnen schoss plötzlich an die Spitze der Gruppe, was ihm einen Tadel vonseiten eines Soldaten einbrachte.
    Cord hangelte sich an der Tunnelwand entlang und stürzte sich
aus hundert Fuß Entfernung auf mich. Ich fürchtete mich vor der bevorstehenden Kollision, doch zum Glück verlangsamte der Luftwiderstand ihren Flug, sodass der Zusammenprall unserer Körper nicht schlimmer war, als wenn man beim Gehen gegen jemanden stößt. Wir sanken in eine lange, schwerelose Umarmung. Nicht weit hinter ihr lag ein weiterer Arbrer: ein junger Säkularer. Ich erkannte ihn nicht, hatte aber das überaus merkwürdige Gefühl, dass man das von mir erwartete. Er trudelte langsam um alle drei Achsen, während er auf mich und meine Blutsverwandte zutrieb, und zappelte dabei mit Armen und Beinen, als würde das helfen. Dafür war er sehr eindrucksvoll gekleidet und frisiert. Einer der Soldaten unserer Eskorte streckte den Arm aus und versetzte ihm einen Stoß gegen das Knie, der seinem Getrudel ein Ende machte und seinen Flug auf eine etwas weniger meteorische Geschwindigkeit verlangsamte. Bezogen auf mich und Cord kam er fast zum Stehen. Cords rechtes Ohr presste sich so hart gegen meine Wange, dass ich mir sicher war, dass ihr Ohrring mir eine blutige Verletzung zufügte, und als ich daran vorbei auf den Mann schaute, sah ich, wie er einen Spulocorder hob und auf uns richtete. »Im kalten Herzen des außerarbrischen Raumschiffs«, intonierte er mit wunderschön moduliertem Bariton, »kommt es zur herzergreifenden Wiedervereinigung von Bruder und Schwester. Cord, die säkulare Hälfte des heroischen Paars, zeigt tiefe Erleichterung, während sie …«
    Ich begann meinerseits gerade, einige tiefe – aber nicht ganz so herzergreifende – Emotionen zu empfinden, als der Mann mit dem Spulocorder irgendwie auf geradezu magische Weise durch Yulassetar Crade ersetzt wurde. Mit dem Wunder gingen einige Geräuscheffekte einher: ein fleischiges Wumpf und ein scharfes Luftausstoßen – eine Art Bellen – vonseiten des Mannes mit dem Spulocorder. Yul hatte sich einfach aus einigem Abstand auf den Mann gestürzt, ihn in vollem Tempo gerammt, um dann schlagartig mitten in der Luft stehen zu bleiben, da er seine gesamte Bewegungsenergie an sein Ziel weitergegeben hatte.
    »Die Erhaltung der Energie«, verkündete er, »ist nicht nur eine gute Idee – sie ist Gesetz!« Von weit weg hörte ich ein dumpfes Geräusch und einen Schrei, als der Mann mit der Frisur gegen den Endstöpsel prallte. Beides wurde jedoch fast übertönt von dem Gekicher und den, wie ich annahm, anerkennenden Kommentaren der Soldaten unserer Eskorte. Wenn ich zunächst verblüfft gewesen war
zu erfahren, dass man Yulassetar Crade ausgerechnet zum Mitglied einer diplomatischen Gesandtschaft gemacht hatte, so erkannte ich nun, wie genial das war.
    Sobald sich Cord so weit beruhigt hatte, dass sie mich loslassen konnte, schwebte ich zu Yul hinüber, ließ

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