Anathem: Roman
Bedingungen?«
»Komisch, dass du fragst«, sagte er. »Während du im Zustand vorübergehender Leblosigkeit warst, haben einige von uns genau über dieses Thema diskutiert.« Und er nickte ein wenig ungeduldig zur Mündung des Schachts von Kugel vier hin, wo alle anderen sich versammelten.
»Meinst du, Fraa Jads Schicksal hat den Ausgang dieser Verhandlungen beeinflusst?«
»Aber ja«, sagte Fraa Lodoghir, »es hat mehr Einfluss gehabt, als ich sagen kann.«
Ich kam mir allmählich ein wenig auffällig vor, und da ich erkannte, dass ich aus Lodoghir nichts mehr herausbekommen würde, machte ich kehrt und begleitete ihn zum Anfang des Schachts von Kugel vier.
»Wie ich sehe, haben wir ein paar große prokische Nummern hier«, sagte Jesry mit einer Kopfbewegung zu Lodoghir und seinen beiden Begleitern hin.
»Ja«, sagte ich und musste zweimal hinsehen. Ich hatte gerade festgestellt, dass Lodoghirs Begleiter beide Tausender waren.
»Eigentlich müssten sie in ihrem Element sein«, fuhr Jesry fort.
»Politik und Diplomatie? Zweifellos«, sagte ich.
»Und sie kommen uns sehr gelegen, falls wir die Vergangenheit ändern müssen.«
»Mehr, als sie sie schon geändert haben, meinst du?«, gab ich zurück – keine sonderlich riskante Äußerung, wie ich fand, da sie sich wie ganz normales Prokier-Schlechtmachen anhören würde. »Aber mal im Ernst, Fraa Lodoghir hat sich die Geschichte von Fraa Jad sehr genau angehört, und er hat alle möglichen tiefsinnigen Gedanken dazu, was sie bedeutet.«
»Ich freue mich so darauf, sie zu hören«, sagte Jesry mit unbewegter Miene. »Hat er denn auch praktische Vorschläge?«
»So weit sind wir irgendwie nicht gekommen«, sagte ich.
»Hmm. Das heißt also, das fällt in unsere Zuständigkeit?«
»Ich fürchte, ja.«
Wegen der Sicherheitsbestimmungen dauerte die Kletterpartie hinunter in Kugel vier eine Weile.
»Ich hätte das nie für möglich gehalten«, sagte Arsibalts Stimme während des Abstiegs irgendwo auf der anderen Seite meiner Augenbinde. »Aber das Ganze ist jetzt schon banal!«
»Was denn? Dass ich ständig deine Füße im Gesicht habe?« Denn
er wollte in einem fort zu schnell absteigen und drohte ständig, mir auf die Hände zu treten.
»Nein. Unsere Interaktionen mit den Geometern.«
Ich stieg schweigend ein paar Sprossen mehr ab und dachte darüber nach. Ich war so gescheit, nicht mit ihm zu streiten. Stattdessen stellte ich im Geist eine Liste alles dessen zusammen, was ich auf der Daban Urnud gesehen und was ich, um Arsibalts Wort zu gebrauchen, als banal empfunden hatte: den roten Notfallknopf an der Luke des Observatoriums. Die Maschine zur Erwärmung der Eingeweide. Den Papierkram im Krankenhaus. Den Laterraner, der sein Geschirr abgewaschen hatte. Schmierige Handabdrücke an Leitersprossen. »Ja«, sagte ich, »wenn der Umstand nicht wäre, dass wir ihr Essen nicht essen können, wäre das Ganze nicht exotischer als der Besuch eines fremden Landes auf Arbre.«
»Weniger exotisch«, sagte Arsibalt. »Ein fremdes Land auf Arbre wäre in mancher Hinsicht vielleicht noch präpraxisch, mit einer seltsamen Religion oder seltsamen ethnischen Bräuchen, aber …«
»Aber hier hat man das alles ausgemerzt, es ist eine Technokratie.«
»Genau. Und je technokratischer sie wird, desto mehr gleicht sie sich dem an, was wir sind.«
»Das stimmt«, sagte ich.
»Wann kommen wir eigentlich zum spannenden Teil?«, wollte er wissen.
»Woran denkst du denn da, Arsibalt? Wie in einem Zukunfts-Spulo, wo irgendetwas unheimlich Spektakuläres passiert?«
»Das würde helfen«, räumte er ein. Schweigend stiegen wir noch ein paar Sprossen tiefer. Dann fügte er in gemäßigterem Ton hinzu: »Es ist nur, dass ich – dass ich am liebsten sagen würde: ›In Ordnung, schon gut! Ich hab’s kapiert! Der Hyläische Fluss bewirkt eine konvergente Entwicklung Bewusstsein tragender Systeme über Weltspuren hinweg!‹ Aber was hat man davon? Es muss mehr daran sein als dieses riesige Schiff, das von Kosmos zu Kosmos zieht, Musterbevölkerungen einsammelt und sie in Stahlkugeln einbalsamiert.«
»Vielleicht teilen sie ja einige von deinen Gefühlen«, schlug ich vor. »Immerhin machen sie das schon seit tausend Jahren – viel mehr Zeit, das Ganze satt zu kriegen, als du hattest. Du bist erst vor ein paar Stunden aufgewacht!«
»Tja, das ist ein gutes Argument«, sagte Arsibalt, »aber Raz, ich
befürchte, dass sie es eben nicht satt haben. Sie haben so etwas wie eine
Weitere Kostenlose Bücher