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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Kraterwand hervorsprang. Von einem Feuer, das man vor dem Eingang eines Zeltes auf ihr entzündet hatte, kräuselte sich Rauch empor. Mein Fraa war dort oben und verbrutzelte sein Frühstück. »Flec sollte zu Arsibalts Dotat hinaufwandern«, schlug ich vor. »Das wird ein Zentrum, in dem man an solchen Fragen arbeitet.«
    Quin grinste sarkastisch. »Ich bin mir nicht sicher, ob Flec daran arbeiten will.«
    »Er will es einfach gesagt kriegen?«
    »Ja. Jedenfalls ist er daran zumindest gewöhnt – damit fühlt er sich wohl.«
    »Ich habe inzwischen einige laterranische Freunde«, sagte ich, »und einer von ihnen hat mir neulich von einem Philosophen namens Emerson erzählt, der ein paar nützliche Draufsichten über den Unterschied zwischen Dichtern und Mystikern hatte. Ich denke, das gilt für unseren Kosmos genauso wie für seinen.«
    »Ich glaub’s dir. Was ist der Unterschied?«
    »Der Mystiker ordnet ein Symbol einer einzigen Bedeutung zu, die einen Moment lang der Wahrheit entsprach. Der Dichter dagegen erkennt diese Wahrheit, solange sie wahr ist, begreift jedoch, dass Symbole ständig im Fluss und ihre Bedeutungen demzufolge flüchtig sind.«

    »Irgendwann muss hier auch einmal jemand so etwas gesagt haben«, sagte Quin.
    »Aber ja. Im Augenblick ist es großartig, ein Lorit zu sein. Wir haben ein ganzes Kontingent von ihnen hier, die sich auf das Großprojekt einstellen, das Wissen aus den vier Kosmen aufzunehmen.« Ich blickte in Richtung des Zeltklostrums, wo Karvall, Moyra und ihre Fraas und Suurs ihr Lager aufgeschlagen hatten, aber sie waren noch nicht unter der Leinwand hervorgekommen. Wahrscheinlich waren sie noch immer mit dem Knoten ihrer Kleidung beschäftigt. »Egal, ich will damit sagen, dass Leute wie Flec eine fast schon als Sucht zu bezeichnende Schwäche haben für die mystische im Gegensatz zur poetischen Methode, ihren Verstand zu gebrauchen. Und ich habe eine optimistische Seite, die sagt, dass ein solcher Mensch diese Sucht überwinden und so umgeschult werden kann, dass er wie ein Dichter denkt und die fließende Beschaffenheit von Symbolen und Bedeutung akzeptiert.«
    »Okay, aber was sagt dir deine pessimistische Seite?«
    »Dass die Methode des Dichters ein Merkmal des Gehirns, ein spezielles Organ oder eine spezielle Fähigkeit ist, die man entweder hat oder nicht hat. Und dass diejenigen, die sie haben, dazu verurteilt sind, für alle Zeiten im Krieg mit denen zu liegen, die sie nicht haben.«
    »Tja«, sagte Quin, »das hört sich so an, als würdest du in Zukunft eine Menge Zeit auf diesem Felsen bei Arsibalt verbringen.«
    »Irgendwer muss dem armen Kerl ja Gesellschaft leisten.«
    »Habt ihr auch für Leute wie Flec und mich irgendetwas? Außer Pflöcke in den Matsch zu klopfen?«
    »Tatsächlich sind wir auch schon dabei, ein paar dauerhafte Bauwerke zu errichten«, sagte ich, »und zwar größtenteils auf der Insel. Das neue Magisterium braucht einen Sitz. Ein Kapitol. Du bist gerade rechtzeitig gekommen, um die Grundsteinlegung mitzuerleben.«
    »Wann findet sie denn statt?«
    Wieder verlangsamte ich meinen Schritt und überprüfte die Position des hellen Flecks am Himmel. Die Sonne war schon fast so weit, dass sie durchkam. »Genau zu Mittag.«
    »Ihr habt eine Uhr?«
    »Wir arbeiten daran.«
    »Warum heute? Ist das ein besonderer Tag in eurem Kalender?«
    »Ab heute wird er es sein«, sagte ich. »Tag null, Jahr null.«

    Zufall oder Glück hatten uns einen halben Damm zur Insel verschafft: einen Startturm, der wie ein hoher Baum in einer Sturmbö umgestürzt war. Er war verkrümmt, mehrmals geknickt und halb geschmolzen, aber immer noch mehr als imstande, das Gewicht von Menschen und Schubkarren zu tragen. Auf halber Strecke zwischen Ufer und Insel verschwand er unter der Wasseroberfläche. Ab da hatten wir ihn mit Pontons aus geschlossenzelligem Schaumstoff verlängert, die mit überallher ergatterten Kabeln am unter Wasser liegenden Teil des Turms verankert waren. Die letzten paar hundert Ellen mussten gleichwohl auf kleinen Booten zurückgelegt werden. Yul schwamm sie gern. »Wir würden gern eine einfache Seilbahn bauen«, sagte ich Quin, während wir über die Lücke ruderten, »aber es ist eine ernsthafte praxische Herausforderung, einen Turm im Boden der Insel zu verankern, der immer noch locker ist. Das wäre vielleicht etwas, wo Vater und Sohn zusammenarbeiten könnten.« Denn Quin, Barb und ich ruderten gemeinsam hinüber. Ich glaube nicht, dass Barb unbedingt

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