Anathem: Roman
bereits mehrere gab, hatten es zu einem Kubus geformt. Eingemeißelt in eine Seite war SAVANT OROLO – die freie Stelle davor würden wir später ausfüllen, wenn wir einen passenden Namen gefunden hatten – und in die andere JAHR 0 DER ZWEITEN REKONSTITUTION. In eine dritte Seite – die verborgen sein würde, wenn das Gebäude errichtet war – hatten wir alle unsere Namen eingeritzt. Ich forderte Barb und Quin auf, ihren dazuzusetzen.
Barb ging so darin auf, dass er nach meinem Eindruck weder ein Wort noch einen Ton von dem Aut und der Musik mitbekam, die Arsibalt, Thulia und Karvall für uns zusammengestellt hatten. Aber das ging mir genauso. Mir gingen andere Dinge im Kopf herum. Außerdem war ich viel zu sehr damit beschäftigt, mich darüber zu wundern, wer alles zu dem Ereignis erschienen war: Ganelial Crade. Ferman Beller mit ein paar bazischen Mönchen im Schlepptau. Drei von Jesrys Blutsverwandten. Estemard und seine Frau. Ein Kontingent Orithener. Fraa Paphlagon und Emman Beldo. Geometer aller vier Rassen, ausgestattet mit Nasenschläuchen.
Während der Mittag näher rückte, begannen wir mit einer Version des Hyläischen Anathems, die Arsibalt wegen ihrer »zeitlichen
Elastizität«, wie er das nannte, ausgesucht hatte. Er meinte damit, dass wir imstande sein würden, es zu überspielen, wenn die Uhr nicht funktionierte. Doch irgendwann – ich habe keine Ahnung, ob der Zeitpunkt dem wahren Sonnenmittag auch nur nahekam – sah ich Jesry aus seiner Uhrenhütte hervorschießen, seine Schutzbrille zur Seite werfen und im Laufschritt auf uns zuhalten. An seinem Gang erkannte ich, dass alles klappte. Das Auslöseseil straffte sich deutlich erkennbar. Ich blickte zu Yul hinüber, der unter dem Dreibein stand, und zog mir den Finger über die Kehle. Er nahm Barb in eine ungestüme Umarmung und riss ihn zurück in Sicherheit. Einen Augenblick später wurde ein Mechanismus ausgelöst, und mit einem dumpfen Laut, den wir alle in den Knöcheln spürten, fiel der Stein an seinen Platz. Applaus und Jubel brandeten auf, woran ich aber nicht recht teilnehmen konnte, da mir Arsibalt – der, an einem Pult stehend, den Aut leitete – in die Augen starrte und mit einem kurzen Kopfrucken in Richtung eines Zeltes deutete, das ein Stück weit den Hang hinauf stand. »In Ordnung«, formte ich mit den Lippen und gehorchte.
Yul erreichte das Zelt einige Augenblicke nach mir. Er half mir, eine phantasievolle Kulle im Stil von Tredegarh anzuziehen, während ich ihm beim Anlegen eines förmlichen Archgängeranzugs half. Und beide erwiesen wir uns bei unseren jeweiligen Aufgaben als so unfähig, dass diese Vorbereitungen über das Ende des Aut hinaus andauerten und zu hörbarer Unruhe und derben Kommentaren von Seiten der Leute führten, die hinter der Leinwand durcheinanderquirlten. Emman Beldo musste seine Bemühungen um Suur Karvall unterbrechen, ins Zelt kommen und in Yuls Namen intervenieren. Unterdessen wurden meine Überfalten ausgerechnet von Fraa Lodoghir geglättet und fixiert, der wahrscheinlich erschienen war, um sicherzustellen, dass Saunt Orolo auch eine einflussreiche prokische Fakultät erhalten würde.
Auf der Schwelle zauderten Yul und ich und boten einander mehrfach den Vortritt an – was erst ein Ende hatte, als die Schwelle zu existieren aufhörte. Lio und einige Thaler hatten die Geduld verloren und die Abspannschnüre des Zelts durchgeschnitten, das sie nun wie bei der Enthüllung zweier Statuen nach hinten über unsere Köpfe wegzogen.
Und wie Statuen verhielten wir uns wahrscheinlich auch, als wir Ala und Cord zu Gesicht bekamen, die sich beim Anziehen wesentlich
geschickter angestellt hatten als wir. Ich hatte damit gerechnet, dass meine Braut mit einem Kranz aus Sternblüten und anderen invasiven Arten geschmückt sein würde. Doch nun begriff ich, dass Quins Hol mit richtigen, in fernen Wiesen und Gewächshäusern gezüchteten Blumen beladen gewesen war.
Der Aut war ein wenig kompliziert, da ich Yuls Braut zum Altar führen musste, aber das Problem war von helleren Köpfen gelöst worden. Cord und Yul wurden von Magister Sark getraut, der die Sache recht gut über die Bühne brachte, wenn man bedenkt, dass er bis drei Uhr morgens bei mehreren Flaschen Wein im Dialog mit Arsibalt aufgeblieben war. Er ergriff die Gelegenheit, eine seiner erstaunlichen, nervtötenden, voller Weisheit, Draufsicht und menschlicher Wahrheiten steckenden Predigten vom Stapel zu lassen, die einem schon vor viertausend
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