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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Mauern werden parallel dazu knapp dahinter verlaufen.«
    »Ihr werdet also immer noch Mauern haben?«
    »Ja. Mit Torbögen – aber ohne Tore«, sagte ich.
    »Warum baut ihr dann überhaupt Mauern?«
    »Sie haben einen Symbolgehalt«, sagte ich. »Sie bedeuten: ›Du kommst jetzt in ein anderes Magisterium und musst bestimmte Dinge hinter dir lassen.‹« Aber ich wusste, dass ich da nicht die ganze Wahrheit sagte. Eine halbe Meile entfernt konnte ich ein halbes Dutzend Leute in Kullen ausmachen, die durch Instrumente visierten und Pflöcke einschlugen: Lio und die Gruppe von Ex-Klingenthal-Avot, der er sich angeschlossen hatte. Ich wusste genau, worüber sie sprachen: Wenn zwischen den Magisterien ein Krieg ausbricht und wir die Öffnungen in der Wand mit Toren verschließen, brauchen wir einander überschneidende Schussfelder zwischen dieser Bastion und der nächsten, um jeden Angriff auf den sie verbindenden Mauerabschnitt zurückschlagen zu können …
    Ich pfiff auf den Fingern. Sie schauten zu uns herüber. Ich deutete auf die Pflockbündel, die Quin und ich gerade abgelegt hatten. Ein
paar Thaler eilten herbei, um sie zu holen. Quin und ich machten kehrt, um auf dem gleichen Weg wieder abzusteigen. Doch ein Antwortpfiff, den ich als Lios erkannte, ließ uns anhalten. Ich schaute zu ihm hin. Er deutete den Außenhang der Kraterwand hinab und wollte mich offenbar auf etwas aufmerksam machen. Es gab nicht viel, was einen Blick lohnte: bloß einen langgezogenen Hang aus gekochtem Lehm, verbranntem Holz, zerfetzter Isolierung und pulverisiertem Stein. Weiter weg eine ebene Stelle, wo Pilger wie Quin ihre Fahrzeuge abgestellt hatten. Schließlich jedoch sah ich, was Lio mir zeigen wollte: einen Streifen gelber Sternblütenranken, der sich den Hang hinaufzog.
    »Was ist das?«, fragte Quin.
    »Eine Invasion von Barbaren«, sagte ich. »Eine lange Geschichte.« Ich winkte Lio zu.
    Quin und ich drehten uns um und begannen den Abstieg in den Krater. Wir hatten genug Zeit, um einen Umweg über eine bestimmte Terrasse zu nehmen, die meine edharischen Fraas, Suurs und ich schon bald nach unserer Ankunft hier gebaut hatten. Im Gegensatz zu den meisten Terrassen, auf denen Pflanzen sprossen, die irgendwann zu Strüpps heranwachsen würden, war diese mit Spalieren aus Metallschrott bedeckt, die eines Tages Bibliotheksreben tragen würden. Einige Monate zuvor hatte uns Fraa Haligastreme von Edhar aus einen Besuch abgestattet und einen Wurzelstock aus Orolos altem Weinberg mitgebracht. Wir hatten ihn unter diesen Spalieren eingepflanzt und sahen seither häufig nach, ob die Reben vielleicht aus lauter Gram Selbstmord begingen. Aber sie trieben überallhin aus. Wir befanden uns nahe dem Äquator, aber in einer Höhe von fast zwei Meilen, weshalb die Sonnenstrahlung intensiv, das Wetter jedoch kühl war. Wer hätte gedacht, dass Raketen und Weinstöcke an den gleichen Orten Gefallen fanden?
    Während wir zum Ufer des Kratersees hinuntergingen, räusperte sich Quin, nachdem er eine ganze Weile geschwiegen hatte. »Du hast davon gesprochen, dass man bestimmte Dinge hinter sich lassen müsste, wenn man in dieses neue Magisterium eintritt«, erinnerte er mich. »Gehört dazu auch die Religion?«
    Dass mich die Frage nicht im Geringsten nervös machte, mag als Maßstab dafür dienen, wie sehr sich alles verändert hatte. »Ich bin froh, dass du das zur Sprache bringst«, sagte ich. »Ich habe bemerkt, dass du Handwerker Flec mitgebracht hast.«

    »Flec hat schwere Zeiten durchgemacht«, ließ mich Quin wissen. »Seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen. Die Geschäfte laufen nicht so gut. Die ganze Sache mit dem Himmelswart hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Er musste einfach aus der Stadt heraus. Und dann hat Barb die ganze Fahrt damit verbracht, äh …«
    »Ihn zu ebnen?«
    »Ja. Jedenfalls, ich will nur sagen, wenn seine Anwesenheit hier nicht angebracht ist …«
    »Wir verfahren hier nach der Faustregel, dass Deolatisten willkommen sind, solange sie sich nicht sicher sind, dass sie recht haben«, sagte ich. »Sobald man sicher ist, dass man recht hat, hat es keinen Sinn, hier zu sein.«
    »Inzwischen ist sich Flec bei überhaupt nichts mehr sicher«, versicherte mir Quin. Dann, etwas später: »Kann man überhaupt eine Arch haben, wenn man sich nicht sicher ist, dass man recht hat? Wäre das in dem Fall nicht einfach nur ein Verein?«
    Ich verlangsamte meinen Schritt und zeigte auf eine Felsnase, die aus der gekrümmten

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