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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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den Gesprächsstörer ein, der mit Yuls Stimme einen Strom von Unflätigkeiten von sich gab, während ich sagte: »Nur so kann ich sicher sein, wer immer noch tot ist.«
    »Jetzt kannst du sicher sein«, sagte er. »Es ist vorbei. Die Liste wird sich nicht mehr ändern.«
    »Könnt ihr Leute sowohl zurückholen als auch verschwinden lassen?«
    »Nicht, ohne das hier ungeschehen zu machen.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf den Prahm, auf dem der Friedensvertrag unterzeichnet wurde.
    »Ich verstehe«, sagte ich.
    »Du hast gehofft, Saunt Orolo zurückzubekommen?«, fragte er sanft.
    »Ja.«

    Lodoghir blieb stumm. Aber ich konnte es mir selbst denken. »Aber wenn Orolo lebt, heißt das, Lise ist in Ekba begraben. Wir verfügen nicht über die Informationen, die wir aus ihren sterblichen Überresten gewonnen haben – nichts von dem hier geschieht. Friede ist nur damit kompatibel, dass Lise und Orolo tot sind – und es auch bleiben.«
    »Es tut mir leid«, sagte Lodoghir. »Es gibt bestimmte Weltspuren – bestimmte Zustände -, die nur damit kompatibel sind, dass bestimmte Personen … abwesend sind.«
    »Genau dieses Wort hat auch Fraa Jad benutzt«, sagte ich, »bevor er als Abwesender auftauchte.«
    Fraa Lodoghir sah aus, als wappnete er sich gegen irgendeinen kindischen Ausbruch von mir. Ich fuhr fort: »Was ist eigentlich mit Fraa Jad? Besteht die Möglichkeit, dass er wieder anwesend sein wird?«
    »Sein tragisches Hinscheiden ist ausführlich dokumentiert«, sagte Fraa Lodoghir, »aber ich würde mir nicht anmaßen zu beurteilen, wozu ein Inkantor imstande ist und wozu nicht.« Und sein Blick wandte sich von meinem Gesicht ab und schweifte über die durcheinanderquirlende Menge, bis er – jedenfalls bildete ich mir das ein – auf Magnath Foral zur Ruhe gekommen war. Ausnahmsweise hatte der Heritor von Elkhazg einmal nicht die Frau Ministerin an seiner Seite – sie widmete sich offiziellen Aufgaben -, und so ging ich direkt zu ihm hinüber.
    »Habt ihr – haben wir – sie hierhergerufen?«, fragte ich ihn. »Haben wir die Urnuder hervorgerufen? Oder verhält es sich so, dass irgendein Urnuder vor tausend Jahren in einem Traum einen geometrischen Beweis gesehen und diesen in eine Religion verwandelt hat – zu dem Schluss gekommen ist, dass er in eine höhere Welt gerufen worden ist?«
    Magnath Foral ließ mich ausreden, dann wandte er das Gesicht dem Wasser zu und lenkte meine Aufmerksamkeit so auf die Unterzeichnung des Friedensvertrags. »Sieh doch«, sagte er. »Auf diesem Boot sind zwei Arbrer von gleichem Rang. Einen solchen Zustand hat es seit dem Goldenen Zeitalter von Ethras nicht mehr gegeben. Man hat die Mauern von Tredegarh geschleift. Die Avot sind aus ihren Gefängnissen entflohen. Ita mischen sich unter sie und arbeiten an ihrer Seite. Wenn das alles infolge eines Rufs geschehen wäre, wie du ihn unterstellst, wäre das dann nicht eine großartige
Leistung der Stammlinie? Wie gern würde ich ein solches Verdienst beanspruchen. Lange haben meine Vorgänger und ich auf einen solchen Höhepunkt gewartet. Mit welchen Ehren würde man die Stammlinie überhäufen, wenn das alles stimmte! Aber es hat sich nicht auf so eindeutige und unkomplizierte Weise zugetragen. Ich weiß die Antwort nicht, Fraa Erasmas. Und es wird sie kein in diesem Kosmos Geborener wissen, bis wir uns auf ein solches Schiff begeben haben und zum nächsten weitergereist sind.«

Teil 13
    REKONSTITUTION

    Draufsicht: Ein plötzlicher, normalerweise unverhoffter Augenblick klaren Verständnisses.
     
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000

    D er Bedarf an Pflöcken war grenzenlos. Unsere Freiwilligen fertigten sie aus allem, was sie finden konnten: aus Armierungseisen, die sie von den in die Landschaft geklatschten Gebäuden abschnitten, aus verbogenen Winkelbändern, die sie von umgestürzten Montagetürmen absägten, aus Splittern von zerrissenen Bäumen. Zu Bündeln zusammengebunden, stapelten sie sich vor dem Eingang meines Zeltes und drohten mich darin einzusperren.
    »Die muss ich zu dem Vermessungsteam auf dem Kraterrand bringen«, sagte ich, »hast du Lust, mitzukommen?«
    Handwerker Quin hockte nun schon seit sechs Tagen mit Barb in einem Hol. Mein Vorschlag hörte sich gut für ihn an. Wir schoben uns zwischen verschimmelter Leinwand hindurch und traten hinaus in das weiße Licht eines wolkenverhangenen Morgens. Jeder von uns schulterte so viele Pflockbündel, wie er tragen zu können meinte, und wir begannen

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