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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hervor, dass er herauszufinden versuchte, welcher Ikonographie die Bande anhing. Er schien eines nicht zu begreifen, was Cord und mir dagegen völlig klar war, nämlich, dass es Extras gab, die einen Avot nur deshalb verprügeln würden, weil das unterhaltsamer war, als ihn nicht zu verprügeln – und nicht weil sie irgendeiner albernen Theorie darüber anhingen, wer wir waren. Er nahm an, dass Hundsfötte sich die Mühe machten, Theorien zu haben.
     
    Deshalb verspürten Cord und ich erst Frustration, dann Langeweile (und wie Orolo zu sagen pflegte, ist Langeweile eine Maske der Frustration). Sie fing meinen Blick auf. Wir schlenderten zu einer Seite hinüber. Als niemand protestierte, ergriffen wir die Flucht.

    Wie erwähnt, hatten wir Zehner einen Haufen Türmchen anstelle eines richtigen Langhauses. Das dünnste Türmchen war eine Wendeltreppe, die oben im Triforium mündete, so etwas wie einer erhöhten Galerie, die rund um die Innenseite des Chorraums oberhalb der Schirme und unterhalb der hoch aufragenden Fenster des Lichtgadens führte. An einem Ende unseres Triforiums befand sich eine weitere kleine Treppe, die zum Platz der Glockenläuterinnen emporführte. Das interessierte Cord. Ich sah ihren Blick die Glockenstränge hinauf an die Stelle wandern, wo sie in den Höhen des Praesidiums verschwanden. Ich wusste, dass sie nicht ruhen würde, bevor sie nicht gesehen hätte, was sich am anderen Ende der Stränge befand. Also gingen wir ans andere Ende des Triforiums und begannen, eine weitere Treppe zu erklimmen. Diese führte im Zickzack den Turm hinauf, der die südwestliche Ecke des Mynsters verankerte.
    Mathische Architekten waren ratlos, wenn es um Mauern ging. Säulen konnten sie bauen. Mit Bögen kamen sie zurecht. Über Gewölbe, die lediglich dreidimensionale Bögen waren, wussten sie alles. Aber wenn man sie bat, eine einfache Mauer zu bauen, gingen sie in die Knie. Wo alle Welt eine Mauer errichten würde, füllten sie den Raum mit einem System aus Bögen und Maßwerk aus. Wenn Leute sich über Wind, Ungeziefer und andere Dinge beschwerten, die aus normalen Gebäuden durch Wände herausgehalten wurden, machten sie sich vielleicht die Mühe, eine größere Lücke mit einem Buntglasfenster auszufüllen. Wir waren aber noch nicht dazu gekommen, sie alle einzusetzen. Das machte Gebäude wie dieses an windigen und regnerischen Tagen zur Hölle. Als wir die Treppen des südwestlichen Turms erklommen, bot sich uns ein Blick hinunter ins Mynster und hinaus über den Konzent.
    Der obere Bereich dieses Turms – die Stelle, wo er in Pfeiler und Spitzen überging, mit anderen Worten, der höchste Teil, den man ohne Leitern und Kletterausrüstung erreichen konnte – befand sich etwa auf derselben Höhe wie das Hauptquartier des Wehrwarts. Er protzte mit einem der kunstvollsten Steinreliefs im ganzen Konzent, einer Art Kuppel- /Turm- /Durchgangsbildsäule, auf der Planeten und Monde und einige der frühen Kosmographen, die sie erforscht hatten, abgebildet waren. Mitten in diese Bildsäule war ein Fallgatter eingebaut worden: ein Gitter aus Stangen, das hinauf- und hinuntergekurbelt werden konnte. In diesem Moment war es hochgezogen,
was uns die Freiheit gab, eine weitere Treppe in Angriff zu nehmen. Diese war genau in die Spitze des Strebepfeilers hineingeschnitten. Sie würde uns ins Praesidium hinauf und hinein führen. Wäre das Fallgatter geschlossen gewesen, hätten wir nirgendwohin gehen können, es sei denn, wir hätten über eine Art Brücke in die Wohnung des Wehrwarts gelangen wollen.
    Cord und ich gingen durch die Kuppel, extra langsam, damit sie die Reliefarbeiten und den Mechanismus auf sich wirken lassen konnte. Dann waren wir auf dem Weg nach oben. Ich ließ ihr den Vortritt, damit sie eine unverstellte Sicht hatte und ich sie stützen konnte, falls ihr schwindlig wurde. Hier waren wir nämlich hoch über dem Boden und kletterten gerade über die Krümmung eines steinernen Strebebogens, der, wenn man ihn von unten anschaute, nicht dicker als ein Vogelknochen zu sein schien. Sie hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest, nahm sich Zeit und schien es zu genießen. Dann gingen wir durch eine Laibung (eine Art tiefen komplizierten mathischen Torbogen), der ungefähr auf der Höhe der Glockentürme in die Ecke des Praesidiums hineingebaut war.
    Von hier aus gab es nur einen Weg nach oben: eine Reihe von Treppen, die sich im Inneren des Praesidiums direkt innerhalb seines Maßwerks

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