Anathem: Roman
zu kommunizieren. Wenn zum Beispiel Fraa Orolo einen bestimmten Stern fünf Nächte hintereinander beobachten will, erläutert er seinen Plan dem Primas, und wenn er dem vernünftig erscheint, weist der Primas den Schlüsselmeister an, in diesen Nächten unser Fallgatter offen, die anderen dagegen geschlossen zu halten. Da sie alle von den Mathen aus einsehbar sind, können beispielsweise die millenarischen Kosmographen mit einem Blick hinunter sehen, in welchem Zustand es ist, und wissen, dass sie das Sternrund in dieser Nacht nicht benutzen werden. Außerdem können wir die Labyrinthe zwischen den Mathen für bestimmte Arten von Kommunikation wie etwa das Übergeben von Gegenständen oder von Personen in die eine oder andere Richtung nutzen. Wogegen wir allerdings nichts tun können, ist, dass Luftfahrzeuge über uns hinwegfliegen oder laute Musik über die Mauern hinweg dröhnt. In einem früheren Zeitalter haben zwei Jahrhunderte lang Wolkenkratzer auf uns hinabgeschaut!«
Das letzte Detail fand Cord interessant. »Hast du diese alten Doppel-T-Träger in der Maschinenhalle gesehen?«
»Ach – waren das Rahmen von Wolkenkratzern?«
»Man kann sich schwer vorstellen, was sie sonst gewesen sein sollen. Wir haben eine Schachtel mit alten Phototypien, die zeigen, wie diese Dinger von Sklavengruppen dorthin geschleppt wurden.«
»Tragen die Phototypien Druckdaten?«
»Ja. Sie wurden vor ungefähr siebenhundert Jahren gemacht.«
»Wie sieht die Landschaft im Hintergrund aus? Eine zerstörte Stadt oder …«
Sie schüttelte den Kopf. »Wald mit großen Bäumen. Auf manchen dieser Bilder rollen sie Balken über Holzblöcke.«
»Nun, gerade um 2800 gab es einen Zusammenbruch der Zivilisation, es passt also alles zusammen«, sagte ich.
Der Chronochasmus enthielt ein Netz aus Wellen und Ketten, die an manchen Stellen zu Uhrbewegungen zusammenkamen. Die Ketten, die von den Gewichten heraufführten, endeten hier oben in einer Ansammlung von Lagern und Getrieben.
Cord war durch irgendetwas zunehmend entrüstet und verschaffte sich jetzt endlich Luft: »So kann man es einfach nicht machen!«
»Was machen?«
»Eine Uhr bauen, die Tausende von Jahren gehen soll! Die ganzen Stifte, die Auflagerflächen, die Gestänge – jedes einzelne eine Stelle, an der etwas brechen, verschleißen, schmutzig werden, korrodieren kann … Was haben die Konstrukteure sich eigentlich dabei gedacht?«
»Sie haben gedacht, dass immer jede Menge Avot hier sein würden, um sie instand zu halten«, antwortete ich. »Aber ich verstehe, was du meinst. Einige der anderen Millenniumuhren entsprechen eher dem, was du im Kopf hast: dazu gedacht, über Jahrhunderte hinweg ohne jede Wartung zu funktionieren. Es kommt ganz drauf an, was der Konstrukteur damit zum Ausdruck bringen wollte.«
Das gab ihr viel zum Nachdenken, sodass wir eine Weile schweigend weiterstiegen. Ich übernahm die Führung, da es oberhalb eines bestimmten Punktes keinen richtigen Weg mehr gab. Wir mussten uns zwischen verschiedenen Stegen und Treppen hindurch ducken und winden. Was für Cord völlig in Ordnung war. Genau genommen verbrachte sie so viel Zeit damit, herauszufinden, wie die Uhr funktionierte, dass ich unruhig wurde und daran dachte, dass in diesem Moment in unserem Refektorium das Essen serviert wurde. Dann fiel mir aber wieder ein, dass Apert war und ich, wenn ich
wollte, extramuros gehen und um eine Currywurst bitten konnte. Cord, die gewohnt war, essen zu können, wann es ihr passte, machte sich darüber gar keine Gedanken.
Sie betrachtete einen Komplex aus knochenartigen Hebeln, die miteinander rangen. »Die erinnern mich an das Teil, das ich heute Morgen für Sammann gemacht habe.«
Ich hob die Hände. »Sag mir nicht seinen Namen – oder sonst etwas«, flehte ich.
»Warum dürft ihr nicht mit den Ita sprechen?«, fragte sie, plötzlich verärgert. »Das ist albern. Manche von ihnen sind sehr intelligent.«
Gestern hätte ich jeden Handwerker ausgelacht, der so vermessen gewesen wäre, sich ein Urteil über irgendeinen Konzentbewohner – und sei es auch ein Ita – zu erlauben, aber Cord war meine Blutsverwandte. Wir hatten eine Menge Sequenzen gemeinsam, und sie besaß ebenso viel innere Intelligenz wie ich. Wir Fraas wurden durch Substanzen in unserer Nahrung unfruchtbar gehalten, sodass wir nicht Suurs schwängern und innerhalb der Konzente eine Spezies noch intelligenterer Menschen heranzüchten konnten. Genetisch waren wir alle aus demselben
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