Anathem: Roman
Holz geschnitzt.
»Es ist so etwas wie Hygiene«, sagte ich.
»Glaubt ihr, die Ita sind schmutzig?«
»Hygiene hat eigentlich nichts mit Schmutz zu tun. Eher mit Keimen. Sie soll die Ausbreitung von Sequenzen verhindern, die gefährlich sind, wenn sie sich vermehren. Wir glauben nicht, dass die Ita in dem Sinne schmutzig sind, dass sie sich nicht waschen. Aber ihr ganzer Daseinszweck besteht darin, mit Informationen zu arbeiten, die sich wahllos verbreiten.«
»Warum – worum geht es eigentlich? Wer hat sich diese ganzen dummen Regeln ausgedacht? Wovor haben sie Angst?«
Sie war ziemlich laut. Wenn sie im Refektorium so gesprochen hätte, wäre ich zusammengezuckt. Ich war froh, sie allein hier oben in dieser Schlucht geduldiger, tauber Maschinen zu hören. Als wir unseren Aufstieg fortsetzten, suchte ich nach einer Erklärung, für die ihr Verstand offen sein könnte. Inzwischen hatten wir den größten Teil der komplizierten Dinge hinter uns gelassen – die Maschinen, die die Ziffernblätter der Uhr bewegten. Nur noch ein halbes Dutzend senkrechte Wellen waren übrig, die durch Löcher im Dach hinaufführten, um sich mit Dingen im Sternrund zu verbinden: polaren Antrieben für die Teleskope und den Zenit-Synchronisator,
der jeden Tag um zwölf Uhr – jeden klaren Tag zumindest – die Uhrzeit stellte. Der letzte Teil unseres Aufstiegs zum Sternrund war eine Wendeltreppe, die sich um die größte dieser Wellen wand: diejenige, die das große Teleskop der Saunts Mithra und Mylax drehte.
»Diese große Maschine, mit der du das Metall schneidest …«
»Das ist eine fünfachsige elektrische Entladefräse.«
»Mir ist aufgefallen, dass sie für menschliche Hände gemachte Kurbeln hat. Nachdem die Arbeit erledigt war, hast du sie gedreht, um den Tisch in die eine oder andere Richtung zu bewegen. Und ich wette, du könntest mit diesen Kurbeln auch eine Form schneiden, oder?«
Sie zuckte die Achseln. »Eine sehr einfache Form, klar.«
»Wenn du aber die Hände von diesen Kurbeln nimmst und die Steuerung auf die syntaktische Vorrichtung umstellst, wird es ein viel leistungsfähigeres Gerät, stimmt’s?«
»Unendlich viel leistungsfähiger. Es gibt fast keine Form, die man mit einer synvorgesteuerten Maschine nicht herstellen kann.« Sie glitt mit der Hand zur Hüfte hinab, holte eine Taschenuhr hervor und ließ sie am Ende einer silbernen, aus fließenden, nahtlosen Gliedern bestehenden Kette baumeln. »Diese Kette ist mein Gesellenstück. Sie ist aus einer massiven Titanstange geschnitten.«
Ich befühlte die Kette eine ganze Weile. Es war, als tröpfelte Eiswasser über meine Finger.
»Nun, denselben verstärkenden Effekt können Synvors auf andere Arten von Geräten haben. Solche zum Lesen und Schreiben genetischer Sequenzen, zum Beispiel. Zum Ausgleichen von Proteinen. Zur programmatischen Nukleosynthese.«
»Die kenne ich nicht.«
»Weil sie heute keiner mehr macht.«
»Und woher kennst du sie dann?«
»Wir studieren sie – ganz abstrakt -, wenn wir die Erste und Zweite Verheerung durchnehmen.«
»Das sagt mir auch nichts, deshalb wäre es mir recht, wenn du einfach zur Sache kämst.«
Wir hatten oben auf der Treppe gestanden, die zum Sternrund hinaufführte. Nachdem ich die Tür aufgeschoben hatte, traten wir, ins Licht blinzelnd, hinaus. Cord war etwas unwirsch geworden. Aus Orolos Gesprächen mit Handwerkern wie Flec und Quin wusste ich, wie ungeduldig Säkulare auf unsere für ihr Empfinden gewundene
und indirekte Art zu sprechen reagierten. Deshalb schwieg ich einen Moment und ließ sie sich umschauen.
Wir befanden uns auf dem Dach des Praesidiums, einer großen, durch Bögen verstärkten Steinplatte. Sie war nahezu flach, nur in der Mitte leicht gewölbt, damit das Regenwasser abfließen konnte. Ihre Steine waren graviert und mit eingelegten kosmographischen Kurven und Symbolen versehen. An ihrem Rand standen rundherum Megalithen, um zu markieren, wo bestimmte Himmelskörper zu verschiedenen Zeiten im Jahr auf- und untergingen. Innerhalb dieses Rings waren mehrere freistehende Konstruktionen errichtet worden. Die höchste davon war das in eine Doppelhelix aus äußeren Treppen gehüllte Pinakel. Dessen oberste Ebene war der höchste Punkt des Mynsters.
Die massigsten Konstruktionen hier oben waren die Doppelkuppeln des großen Teleskops. Um sie herum verstreut standen ein paar viel kleinere Teleskopkuppeln, ein fensterloses Laboratorium, in dem wir mit den photomnemonischen Tafeln
Weitere Kostenlose Bücher