Anathem: Roman
ich.
»Und ihre Feinde, die Wie-nennt-ihr-sie-doch-gleich …«
»Rhetoren.«
»Richtig. Was genau ist der Unterschied?« Sie warf mir den unschuldigsten, erwartungsvollsten Blick zu, während sie sich ihre Uhrkette um den Finger drehte. Ich brachte es nicht über mich, offen und ehrlich mit ihr zu reden – ihr zu sagen, was für dumme Fragen sie stellte. »Äh, wenn du diese Art von Spulos angeschaut hast, weißt du mehr darüber als ich«, sagte ich. »Eine leichtfertige Erklärung, die ich mal gehört habe, war, dass die Rhetoren die Vergangenheit verändern könnten und es gerne täten, während die Inkantoren die Zukunft verändern könnten – aber abgeneigt seien.«
Sie nickte, als wäre das nicht ein Haufen Unsinn. »Sie waren durch das, was die Rhetoren getan hatten, dazu gezwungen worden.«
Ich zuckte die Achseln. »Noch einmal: Es hängt alles davon ab, welche Romane du zufällig gerne liest …«
»Aber diese Burschen wären Inkantoren«, sagte sie, während sie mit dem Kopf auf die Klippe wies.
Ich wurde etwas unruhig, weshalb ich sie wieder hinaus auf das offene Dach führte, wo sie sofort den Blick zurück auf den Tausendermath richtete. Am Ende wurde mir klar, dass sie sich lediglich vergewissern wollte, dass die seltsamen Leute da oben auf der Felsklippe, die über ihrer Stadt aufragte, nicht gefährlich waren. Und dabei war ich ihr gerne behilflich, vor allem, wenn sie vielleicht
hinausgehen und die gute Nachricht weiterverbreiten würde. Der eigentliche Zweck der Apert bestand ja gerade im Ausbügeln solcher Unstimmigkeiten.
Ich wollte sie aber auch nicht anlügen. »Unsere Tausender sind ein bisschen anders«, sagte ich. »Unten in den anderen Mathen wie zum Beispiel dem, in dem ich lebe, sind verschiedene Orden vermischt. Aber oben auf der Klippe gehören sie alle zu einem: den Edhariern. Die ihre Stammlinie auf Halikaarn zurückführen. Und wenn in den Volkssagen, von denen du sprichst, ein Fünkchen Wahrheit steckt, würde sie das auf die Seite der Inkantoren stellen.«
Das schien sie in Sachen Rhetoren- / Inkantorenkriege zu befriedigen. Wir setzten unseren Weg um das Sternrund fort, wobei ich einen großen Bogen um einen Ita machen musste, der mit einer roten Kabelrolle über der Schulter aus einem Geräteschuppen auftauchte. Das fiel Cord auf. »Was nützt es, die Ita da zu haben, wenn es euch so viel Mühe kostet, ihnen nicht zu begegnen? Wäre es nicht einfacher, sie fortzujagen?«
»Sie halten bestimmte Teile der Uhr am Laufen …«
»Das könnte ich machen. So schwierig ist das nicht.«
»Nun … um die Wahrheit zu sagen, diese Frage stellen wir uns auch.«
»Und wie ich euch kenne, habt ihr zwölf verschiedene Antworten darauf.«
»Es gibt so etwas wie eine überlieferte Ansicht, dass sie uns für die Säkulare Macht ausspionieren.«
»Aha. Und deshalb hasst ihr sie.«
»Ja.«
»Was bringt euch auf die Idee, dass sie euch ausspionieren?«
»Voko. Ein Aut, bei dem ein Fraa oder eine Suur aus dem Math herausbeordert – evoziert – wird, um etwas Praxisches für die Zampanos zu tun. Wir sehen sie nie wieder.«
»Sie verschwinden einfach?«
»Wir singen ein bestimmtes Anathem – ein Trauer- und Abschiedslied -, während wir zusehen, wie sie aus dem Mynster hinausgehen und auf ein Pferd oder in einen Hubschrauber oder so etwas steigen, und – ja, ›verschwinden‹ passt.«
»Was haben die Ita damit zu tun?«
»Nun, sagen wir mal, die Säkularen Machthaber brauchen jemanden, der eine Krankheit heilt. Woher sollen sie aber wissen, wer
von den Fraas oder Suurs aus allen Konzenten sich zufällig mit dieser Krankheit auskennt?«
Darüber dachte sie nach, während wir die Wendeltreppe hochstiegen, die sich außen am Pinakel emporwand. Jede Stufe war eine Steinplatte, die freitragend unmittelbar seitlich aus dem Gebäude herausragte: eine gewagte Konstruktion, die im Übrigen jedem, der sie erklimmen wollte, einen gewissen Schneid abverlangte, da sie kein Geländer besaß.
»Das klingt ziemlich bequem für die da oben«, bemerkte Cord. »Ist euch je in den Sinn gekommen, dass diese ganze Angst vor den Schrecklichen Ereignissen und den Inkantore nur ein Stock ist, den sie griffbereit halten, um euch zu schlagen, wenn ihr nicht tut, was sie wollen?«
»Das ist Saunt Patagars Behauptung, und sie stammt aus dem neunundzwanzigsten Jahrhundert«, erläuterte ich ihr.
Sie schnaubte. »Ich beiße an. Was ist aus Saunt Patagar geworden?«
»Sie war sogar eine Zeitlang
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