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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Eintöpfe und Saucen. Sich über den Boden schlängelnd Flaschenkürbisse in großer Vielfalt. In der Mitte hohle Pfefferschoten. Unter der Oberfläche wuchsen zwei Arten von Wurzelknollen, und Blattgemüse nahmen alles auf, was an Licht noch übrig blieb. Das ursprüngliche alte Strüpp hatte acht Pflanzen umfasst, und die Leute, die sie anbauten, hatten sie über Tausende von Jahren hinweg so gezüchtet, dass sie so ertragreich wie möglich waren, ohne dass jemand sich einmischte und an ihren Sequenzen
herumpfuschte. Unsere waren noch ertragreicher, und wir fügten vier weitere Pflanzenarten hinzu, von denen zwei nur zur Wiederanreicherung des Bodens dienten. Zu dieser Jahreszeit entfalteten die Strüppe, die wir seit der Schneeschmelze bearbeitet hatten, ihre ganze Pracht und trugen eine Vielfalt an Farben und Düften zur Schau, die extramuros nicht zu haben waren. Deshalb fand die Apert jetzt statt. Es war eine Möglichkeit für die Leute innerhalb der Mathe, ihr Glück mit ihren Nachbarn extramuros zu teilen und sie außerdem von Babys zu befreien, die vermutlich den Winter nicht überstehen würden.
    Ich hielt Plätze für Cord und ihren Freund Rosk frei. Cord brachte auch noch einen Cousin von uns mit: Dath, einen fünfzehnjährigen Jungen. Ich erinnerte mich vage an ihn. Er war eins jener Kinder gewesen, mit denen man ständig zur Behandlung erstaunlicher Verletzungen ins Ärztekolleg eilen musste. Irgendwie hatte er überlebt und sich zu diesem Ereignis sogar passabel gekleidet. Seine Beulen und Narben waren unter einem Wust von lockigem braunem Haar verborgen.
    Arsibalt sorgte dafür, dass er selbst gegenüber der »bezaubernden Cord« zu sitzen kam; die Bedeutung von Rosk schien er nicht zu verstehen. Jesry ließ seine ganze Familie am Nebentisch Platz nehmen, wodurch er mit dem Rücken zu mir saß. Dann winkte er Orolo herbei und überredete ihn, sich zu unserer Gruppe zu gesellen. Orolo zog Lio und mehrere einsame Wanderer an, die unseren Tisch vollends auffüllten.
    Dath gehörte zu den Menschen mit freundlichem, unbeschwertem Gemüt, die ohne jede Spur von Verlegenheit sehr elementare Fragen stellen konnten. Ich versuchte, sie in derselben Geisteshaltung zu beantworten.
    »Du weißt, dass ich ein Dard bin, Cousin«, sagte ich. »Der Unterschied zwischen Dards und uns besteht nun nicht darin, dass wir schlauer sind. Das ist nachweislich nicht der Fall.«
    Dieses Thema war aufgekommen, nachdem man gerade lange genug gegessen, getrunken, geredet und alte Lieder gesungen hatte, um deutlich werden zu lassen, dass es wirklich keine Unterschiede gab. Dath, dessen gesunder Menschenverstand unter seinen frühen Missgeschicken nicht gelitten hatte, hatte sich umgesehen und genau das bemerkt – ich konnte es in seinem Gesicht lesen. Und so hatte er die Frage aufgebracht, warum man sich überhaupt die
Mühe mache, Mauern zu errichten – ein Extramuros und ein Intramuros zu haben?
    Orolo hatte das mitbekommen und drehte sich zu Dath um. »Du würdest es besser verstehen, wenn du einen der Nadelstichmathe sehen könntest«, sagte er zu ihm.
    »Nadelstichmathe?«
    »Manche bestehen lediglich aus einer Einzimmerwohnung mit einer elektrischen Uhr an der Wand und einem gut bestückten Bücherregal. Dort lebt ein Avot allein, ohne Spulo, ohne Nicknack. Alle paar Jahre kommt vielleicht ein Inquisitor vorbei und steckt den Kopf zur Tür herein, nur um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.«
    »Und was hat das für einen Sinn?«, fragte Dath.
    »Genau über diese Frage sollst du dir ja Gedanken machen«, sagte Orolo, worauf er sich umdrehte, um eine Unterhaltung mit Jesrys Vater wieder aufzunehmen.
    Dath warf die Hände hoch. Arsibalt und ich lachten, aber nicht auf seine Kosten. »So erledigt Pa Orolo seine Drecksarbeit«, erklärte ich ihm.
    »Heute Nacht wirst du, statt zu schlafen, wachliegen und dich fragen, was er gemeint hat«, sagte Arsibalt.
    »Ja, wollt ihr mir denn nicht helfen? Ich bin kein Fraa!«, flehte Dath.
    »Was würde jemanden dazu motivieren, allein in einer Einzimmerwohnung zu sitzen und nachzudenken?«, fragte Arsibalt. »Wie müssten solche Menschen beschaffen sein, um das als sinnvolles Leben ansehen zu können?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht sind sie eigentlich schüchtern? Fürchten sich vor weiten Plätzen?«
    »Agoraphobie ist nicht die richtige Antwort«, sagte Arsibalt etwas verstimmt.
    »Was, wenn die Orte, die du bei deiner Arbeit aufsuchst, und die Dinge, denen du dabei begegnest,

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