Anathem: Roman
unglaublich abstruse Terminologie zur Bezeichnung der verschiedenen Teile des Tischs, und außerdem war das Blatt von Mäusen angefressen worden. Als wir kurz davor waren, die Beherrschung zu verlieren, den Tisch vom Praesidium hinabzuwerfen, Fraa Bolos nutzlose Anweisungen dem Höllenfeuer zu übergeben und auf der Suche nach einem kräftigen Drink durchs Jahrzehnttor hinauszustürmen, beschlossen Fraa Arsibalt und ich, uns für einen Moment hinzusetzen und eine Pause zu machen. Da erzählte ich Arsibalt dann von meinem Gespräch mit Varax und Onali – wie der Inquisitor und die Inquisitorin angeblich hießen.
»Getarnte Inquisitoren, hmm, davon habe ich, glaube ich, noch nichts gehört«, sagte Arsibalt. Mit einem besorgten Blick in mein Gesicht fügte er hinzu: »Was nichts zu bedeuten hat. Das ist der
Selektionseffekt: Inquisitoren, die nicht vom gemeinen Volk zu unterscheiden sind, würden natürlich unbemerkt und unerkannt durchgehen.«
Irgendwie fand ich das nicht besonders tröstlich.
» Irgendwie müssen sie ja umherreisen«, beharrte Arsibalt. »Ich habe nie daran gedacht, mich zu fragen, wie eigentlich. Sie können ja wohl nicht ihre eigenen Spezialluftfahrzeuge und -züge haben, oder? Viel sinnvoller ist es, wenn sie, wie jeder andere, normale Kleidung tragen und sich eine Fahrkarte kaufen. Ich würde mal annehmen, dass sie zufällig in dem Moment vom Aerodrom kamen, als deine Führung begann, und sich spontan zur Teilnahme entschlossen, um sich die Statuen in der Rotunde, die jeder gerne sehen würde, anzuschauen.«
»Das klingt plausibel, aber ich fühle mich trotzdem … verbrannt.«
»Verbrannt?«
»Ja. Dieser Varax hat mich mit einem Trick dazu gebracht, Dinge zu sagen, die ich einem Inquisitor nie gesagt hätte.«
»Warum hast du sie dann zu einem vollkommen Fremden gesagt?«
Das war mir keine Hilfe. Ich warf ihm einen Blick zu.
»Was hast du denn so Schlimmes gesagt?«, versuchte er es.
»Nichts«, schloss ich, nachdem ich eine Weile darüber nachgedacht hatte. »Ich meine, vermutlich habe ich mich sehr nach HTW, sehr edharisch angehört. Falls Varax ein Prokier ist, hasst er mich jetzt.«
»Das hält sich aber alles noch im normalen Rahmen. Es gibt ganze Orden, die über Tausende von Jahren florierten, obwohl sie noch viel albernere Dinge gesagt hatten, ohne mit der Inquisition in Konflikt zu geraten.«
»Das weiß ich«, sagte ich. Als ich über die Wiese schaute, sah ich zufällig, wie Korlandin und mehrere andere aus dem Neuen Zirkel sich aufstellten, um einen Gesang zu proben, den sie am Abend vortragen würden. Aus hundert Fuß Entfernung konnte ich sie grinsen und einander die Hände schütteln sehen. Ich konnte ihr Selbstvertrauen riechen, als wäre ich ein Hund. So wollte ich sein. Nicht wie die mürrischen edharischen Theoriker, die heftige Diskussionen über die Vektorsumme auf den Scheitelpunkten der Baldachinverstrebungen führten.
»Wenn ich verbrannt sage, will ich vielleicht darauf hinaus, dass
ich meine Brücke verbrannt habe. Was ich zu Varax gesagt habe, wird Suur Trestanas zu Ohren kommen und dann zum Rest ihres Haufens durchdringen.«
»Du hast Angst, dass der Neue Zirkel dich bei der Elikt nicht wird haben wollen?«
»So ist es.«
»Dann ersparst du dir den Gestank. Besser für dich.«
»Was für einen Gestank, Arsibalt?«
»Den Gestank, der sich hier ausbreiten wird, wenn die meisten von unserer Schar sich den Edhariern anschließen. Für den Neuen Zirkel und die Reformierten Alten Faanier wird nur der Kehricht übrig bleiben.«
Bemüht lässig schaute ich mich um, denn ich wollte sichergehen, dass wir nicht in Hörweite irgendeines der Fids waren, die Arsibalt als Kehricht betrachtete. Die einzige Person in der Nähe war jedoch der urzeitliche Großfraa Mentaxenes, der in Erwartung einer Aufgabe umherschlurfte, aber zu stolz war, nach einer zu fragen. Ich ging mit dem angenagten Tischaufklappkodex von Fraa Bolo zu ihm und bat ihn um eine Übersetzung. Er hätte nicht bereitwilliger reagieren können. Arsibalt und ich überließen ihn seiner Arbeit und trotteten zum Mynster zurück, um den nächsten Tisch zu holen.
»Was bringt dich auf den Gedanken, dass das passieren wird?«, fragte ich.
»Orolo hat mit vielen von uns geredet – nicht nur mit dir«, sagte Arsibalt.
»Um uns zu rekrutieren?«
»Korlandin rekrutiert – weshalb wir ihm nicht vertrauen. Orolo spricht einfach und lässt uns unsere eigenen Schlüsse ziehen.«
Scheißdrökh: (1) Im
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