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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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auf dem Spiel als die Tatsache, dass ein junger Fraa in der entlegenen Einsiedelei Saunt Edhar an ein paar einheimischen Herumtreibern seine Thade ausprobiert. Um Gottes willen«, fuhr er fort (was in meinen Ohren seltsam klang, da nur wenige von uns an Gott glaubten und er keiner von ihnen zu sein schien; vielleicht war es aber auch nur ein Fluch, den Kosmopoliten an Orten benutzten, wo unser Konzent als »entlegene Einsiedelei« galt). »Um Gottes willen, heb den Blick. Denk in großem Maßstab – so, wie du es heute Morgen getan hast. So wie dein Freund da es tut, wenn er beschließt, es mit vier kräftigeren Männern aufzunehmen.« Damit zog Varax sich die Kapuze wieder über den Kopf und ging zu dem Baldachin zurück.
    Er begegnete dem Wehrwart und der Regelwartin, die in die entgegengesetzte Richtung eilten. Sie traten nach rechts und links zur Seite, um ihn durchzulassen. Beide nickten und nuschelten einen Ausdruck der Ehrerbietung, den mir beizubringen niemand für nötig gehalten hatte.
    Beide Warte wirkten ziemlich angespannt. Normalerweise war die Grenzlinie zwischen ihren Zuständigkeitsbereichen klar: Sie verlief oben auf der Mauer. Während der Apert wurden die Dinge kompliziert, da die Mauer für zehn Tage aufhörte zu existieren.
    Suur Trestanas war dafür, Lio zum Buch zu verurteilen. Fraa Delrakhones war zufrieden damit, wie die Sache ausgegangen war, von einer Spitzfindigkeit abgesehen: Als Lio bemerkt hatte, dass die vier Dards sich durch den Hinterausgang davonstahlen, hätte er jemanden alarmieren müssen, statt selbst hinauszugehen und sie zu stellen.

    »Nun, ist das ein Vergehen oder nicht?«, fragte Suur Trestanas.
    »Ich persönlich halte es für ein Vergehen, das man vernachlässigen kann«, erwiderte Delrakhones, »aber ich bin kein Regelwart.«
    »Ich schon«, sagte Suur Trestanas überflüssigerweise, »und wenn einer unserer Fraas sich während der Apert prügelt, wo er eigentlich Neuankömmlinge begrüßen und Tische abdecken sollte, dann scheint mir das etwas zu sein, was sogar zur Verstoßung führen könnte.«
    Das war eine so hanebüchene Äußerung, dass ich spontan das Wort ergriff – so als wäre Lios Impulsivität wie ein Funke in meinen Kopf gesprungen. »Wenn ich du wäre, würde ich das kurz mit Inquisitor Varax besprechen, ehe ich weitere Maßnahmen ergriffe«, sagte ich.
    Trestanas drehte sich um und musterte mich von Kopf bis Fuß, als hätte sie mich noch nie zuvor gesehen. Hatte sie vielleicht auch nicht. »Die Zeitspanne, die du mit unseren Ehrengästen unter vier Augen verbringst, ist bemerkenswert. Außergewöhnlich.«
    »Und zufällig, das kann ich dir versichern.« Aber – was ich zu spät bemerkte – Suur Trestanas war deswegen eifersüchtig auf mich. Fast so, als wünschte sie sich sehnlichst, eine Liaison mit Varax und Onali zu haben, diese aber für mich schwärmten. Und sie würde nie glauben, dass meine Begegnungen mit ihnen reine Zufälle gewesen waren. Wenn man solche Sachen glaubte, brachte man es nie zur Regelwartin.
    »Offenbar hast du keine Vorstellung von der Macht, die die Inquisition über uns ausüben kann.«
    »Äh, das stimmt nicht. Sie können dem Konzent eine Bewährungsfrist von bis zu hundert Jahren setzen, während denen unser Speiseplan auf die Grundnahrungsmittel beschränkt wird – nahrhaft, aber nicht besonders interessant. Falls wir uns nach einem Jahrhundert nicht gebessert haben, können sie hereinkommen und von oben bis unten alles auskehren. Und sie haben die Macht, jeden Hierarchen zu feuern und ihn oder … sie … durch einen neuen ihrer Wahl zu ersetzen …« Ich kam ins Stocken, weil mein Gehirn – zu spät – die Implikationen durchging. Ich hatte lediglich nachgeplappert, was Arsibalt mir früher am Tag gesagt hatte. In Trestanas Ohren würde das natürlich wie Hohn klingen.
    »Womöglich findest du, dass die derzeitigen Hierarchen von Saunt Edhar ihre Aufgaben nicht zufriedenstellend erfüllen«, äußerte
Suur Trestanas zu ruhig. »Vielleicht sollten Delrakhones oder Statho oder ich ersetzt werden?«
    »So etwas habe ich nie gedacht!«, sagte ich und biss mir auf die Zunge, ehe mir bis jetzt jedenfalls herausrutschen konnte.
    »Warum dann all diese heimlichen Verabredungen mit den Inquisitoren? Du bist der einzige Nichthierarch, der überhaupt mit ihnen gesprochen hat – und jetzt sogar zum zweiten Mal, beide Male unter ausgesprochen vertraulichen Bedingungen.«
    »Das ist verrückt«, sagte ich, »das ist

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