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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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da meine Toilettenartikel den durchsichtigen Plastikbeutel nie verließen.
    Conors Mutter besuchte uns übers Wochenende; sie saß am Frühstückstisch und verkündete ihre lang gehegte Auffassung, zwei Kopfkissenbezüge seien hygienischer als nur einer.
    »Schlaf«, sagte sie. »Ein Drittel deines Lebens.« Und ich warf sie nicht etwa hinaus oder schrie sie an, dass der Sohn, den sie aufgezogen hatte, nicht wisse, dass man Bettwäsche wechseln könne; er glaube wohl, die käme mit dem Bett.
    »Weißt du«, sagte ich, »das finde ich sehr einleuchtend. «
    Mrs Shiels hatte fünf Kinder: zwei in Youghal und zwei in Dundrum und Bondi, die sich beeindruckend fortpflanzten. Sie war eine patente, glamouröse Frau, bereit, uns als Dubliner Einkaufsstützpunkt zu benutzen – das wusste ich so gut wie sie. Zu Weihnachten schenkte ich ihr Gutscheine für ein Nobelhotel.
    »Das Merrion!«, sagte sie. »Wie reizend.«
    Dies war ein Weihnachtsfest, das ich mit meiner eigenen Mutter hätte verbringen können. Stattdessen verbrachte ich es in Youghal, in einem Gewühl von vierzig Leuten, deren Namen ich nicht kannte und von denen jeder Einzelne (mir kann man nichts vormachen) einen Hass auf Dubliner hatte – nur weil sie nicht aus ihrem beschissenen Youghal stammten.
    Allmächtiger.
    Ich kann es nicht fassen, dass ich das alles los bin. Ich kann es einfach nicht fassen. Dass du lediglich mit jemandem schlafen und dich dabei erwischen lassen musst – und schon brauchst du deine Schwiegersippe nie wiederzusehen. Nie mehr. Pfffft! Futsch. Das grenzt geradezu an Zauberei.
    Aber ich nehme an, die Pille ist noch aus einem anderen Grund von Bedeutung, denn ohne die Pille hätte ich damals in Montreux vermutlich nicht mit Seán geschlafen. Und das war – so seltsam es klingen mag – das einzige Mal, wo es nicht darauf ankam. Soweit ich mich entsinne, war eine Menge elsässischer Riesling im Spiel.
    Es passierte während einer Konferenz. Natürlich. Eine Woche Managementjargon an einem Schweizer See, mit Flowcharts, Fondue und einem kleinen Ausflug in einem hölzernen Boot, mit einer gemischten Gruppe aus dem halbstaatlichen und dem privaten Sektor, einige aus Galway, die meisten aus Dublin, und die beiden letzten Nächte zechten alle bis vier Uhr morgens durch. Und ich sollte erwähnen, dass die meisten von ihnen Männer waren.
    Das Thema der Woche lautete »Über die EU hinaus«. Ich sollte über »Internationale Internetstrategien« referieren und freute mich sehr über die Einladung, die einen echten Aufstieg für mich bedeutete. Das Hotel war ein Zuckerwerk aus Cremetönen, rotem Samt und Gold, mit Flecken auf den Teppichen, die an die hundert Jahre alt sein mochten. Und am ersten Morgen stand dort unter der Überschrift »Die Kultur des Geldes« der Name »Seán Vallely«.
    »Du hast es geschafft«, sagte er. Er sah besser aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Vielleicht lag es daran, dass er bekleidet war.
    »Ich hab mich gefragt, wer das sein könnte«, sagte ich.
    »Die Welt ist klein«, sagte er.
    Wir schüttelten einander die Hände.
    Seine Handfläche fühlte sich alt an, fand ich, aber das ist wohl bei den meisten Handflächen so.
    Während eines Seminars, das er an jenem ersten Vormittag hielt, nahm ich ihn unter die Lupe. Ich spähte durch die geöffnete Tür und sah, wie er den Raum in Besitz nahm. Sein offenes Jackett flatterte, als er sich erst die eine, dann die andere Ecke vornahm. Er arbeitete mit der Luft vor seinem Brustkorb, umschloss den Gedanken mit den Händen, reichte ihn dar und ließ ihn entweichen.
    »Warum«, fragte er, »mögen Sie keine reichen Leute?«
    Seine Taktik war beeindruckend.
    »Sie. Wie heißen Sie? Billy. Also, Billy. Mögen Sie reiche Leute?«
    »Die sind mir egal.«
    »Sie nehmen es persönlich, stimmt’s? Das Haus, das Auto, die Ferien in der Sonne. Sie nehmen es persönlich, weil Sie Ire sind. Wären Sie Amerikaner, würden Sie es ihnen gönnen. Weil, Sie wissen schon, diese Leute keine Verbindung zu Ihnen haben. Die haben sich ihr schönes Haus gekauft, und nicht einmal Ihr Name wurde erwähnt. Die sind auf die Bahamas geflogen und haben nicht einmal vergessen, Sie einzuladen.«
    Jeden Vormittag gab es zwei Redner, und an den Nachmittagen wurden die Teilnehmer in Workshopgruppen aufgeteilt. Ich vermutete, dass Seán mit der »Globalsteuer«-Frau schlief oder doch mit ihr geschlafen hatte. Später jedoch erfuhr ich, dass die beiden sich einfach nicht leiden konnten – jedenfalls

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