Anatomie einer Affäre: Roman
behauptete er das.
Zwischendurch gab es Schokoladenverkostung, Einkaufsgelegenheiten und viel schwachsinniges Gerede. Die Wilderen, zu denen auch ich zählte, bildeten eine Art Bande, die Unmengen Alkohol konsumierte. Da waren zwei Typen aus Nordirland »von beiden Seiten des Grabens«, deren Schlagwort lautete: »Solange nur niemand erschossen wird.« Da war ein richtig netter Schwuler, der am Barpiano Herzschmerzschnulzen spielte, und dann war da noch die Globalsteuerfrau, die mich auf die Palme brachte, weil sie jedes Gespräch unterbrach, um ihren Standpunkt noch deutlicher zu vertreten. Am Mittwochabend waren wir beim Wetttrinken angelangt, das ich in der vierten Runde durch K. o. gewann. Am Donnerstag landete ich im Zimmer eines der Nordiren, wo wir gemeinsam mit dem anderen Nordiren und Seán die Minibar plünderten; die Königin des internationalen Steuerrechts klappte auf dem zweiten Bett zusammen. Am letzten Abend – Freitag – begegnete mir Seán, als ich von der Damentoilette kam. Er machte kehrt und las mich mit den Worten auf: »Komm her, ich muss dir was zeigen.« Jedenfalls glaube ich, dass er das sagte. Vielleicht erinnere ich mich nicht an seine genauen Worte, aber an seine Hand in meinem Kreuz erinnere ich mich, und ich erinnere mich daran, dass ich wusste, was wir zu tun im Begriff waren. Es hatte den Anschein, als komme eine Entscheidung gar nicht in Betracht – oder als hätte ich sie schon vor langer Zeit gefällt. Nicht unbedingt für ihn, aber für das hier: in plötzlichem Schweigen auf den Lift zu warten, mit einem Mann, der sich nicht einmal die Mühe machte, mich zu umwerben. Oder war das bereits geschehen? Vielleicht würde er mich später umwerben. Offenbar spielten sich die Dinge nicht länger in einer bestimmten Reihenfolge ab: erst dies, dann das. Erst ein Kuss, dann ins Bett. Vielleicht lag es am Alkohol, aber mein Zeitgefühl hatte sich aufgelöst wie ein loser Schnürsenkel, den man erst bemerkt, wenn man nach unten blickt.
Im Lift plauderten wir belangloses Zeug. Fragen Sie mich nicht, was.
Ein Teil von mir sagte, dass noch andere Leute in seinem Zimmer wären, wie beim Gelage in der Vornacht, eine vergnügte Mischpoke, die versuchte, »über die EU hinauszukommen«. Ein anderer Teil dagegen hoffte wohl, dem wäre nicht so. Aber es nützt nicht viel, sich den Kopf über etwas so Offensichtliches zu zerbrechen. Wir gingen nach oben, um Sex zu haben. Und damals hielten wir das für eine großartige Idee. Außerdem war ich so betrunken, dass ich nur schemenhafte Erinnerungen daran habe.
Allerdings erinnere ich mich durchaus an unsere großartige Session vor dem Zimmer; daran, wie ich mich sträubte, durch die Tür zu gehen, und er sich umdrehte, um mich zu überreden. Den Anfang überspringt mein Gedächtnis wie die Nadel auf einer alten Schallplatte, dadurch ist mir der Augenblick der Entscheidung, des Nachgebens, abhandengekommen. Aber ich weiß noch, wie er mich mit Küssen überwältigte und wie überrascht ich war, als ich mühsam die Augen öffnete und noch immer den Hotelflur erblickte – den verschwommenen Teppichboden, die zurückweichende Flucht identischer Türen und die senkrecht gestreifte scharlachrote Flocktapete. Der Kuss, eine beredte Trance, war ein süßer Streit, eine köstliche Verfolgung. Ich fuhr fort, mich zu entwinden, und er fuhr fort, mich zu halten, die rechte Hand auf meinen Arm gelegt, in der anderen sein elektronischer Türschlüssel, der noch nicht durch den Schlitz geglitten war.
Was mich hielt, war die Opulenz des Kusses, die pure sinnlose, gierige Wonne. Noch als das Schloss surrte und die Tür aufschnappte, machten wir weiter, und erst als wir Leute aus dem Lift kommen hörten, huschten wir lachend ins dunkle Zimmer.
Nach diesem Kuss – dem fünfminütigen, zehnminütigen, zweistündigen Kuss – war der eigentliche Sex ein bisschen zu eigentlich, falls Sie wissen, was ich meine. Es gibt eine weitere Gedächtnislücke, wenn ich versuche, mich darauf zu besinnen, wie wir von der Tür zum Bett gelangt sind. Danach jedenfalls jede Menge begeistertes Gehopse und Gewälze, obwohl ich, wie ich glaube, nicht sonderlich viel spürte und Seán (der jetzt die Liebe meines Lebens ist – Himmel, diese Behauptung ist ein solcher Verrat an ihm) eine halbe Stunde brauchte, bis er endlich kam.
Damals glaubte ich, es sei der Alkohol, der ihn bremste. Aber Seán tut immer nur so, als würde er trinken. Inzwischen kenne ich ihn besser; inzwischen
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