Anatomie einer Affäre: Roman
»schlechte Form« in »Depression« umschlug oder als die Depression sich in etwas Greifbares verwandelte, das schwerer zu benennen war. Es muss einen Moment oder eine Ansammlung von Momenten gegeben haben, von denen an wir nicht mehr auf die Worte hörten, die sie sagte, sondern nur noch darauf, wie sie sie sagte. Es muss einen Tag gegeben haben, von dem an wir ihr überhaupt nicht mehr zuhörten – einen winzigen Sekundenbruchteil, in dem sie sich von unserer Mutter (Ach, Joan, kannst du nicht einmal …) in den harmlosen Gegenstand unserer Besorgnis verwandelte.
»Wie geht’s dir, Liebling? Alles in Ordnung?«
Natürlich hatte ich viel zu tun – ich meine, wir hatten alle viel zu tun –, aber wenn ich jenen Moment erkannt hätte, wäre vielleicht alles anders gekommen. Wenn ich sie hätte wahrnehmen können, statt von ihr umzingelt zu sein, wäre meine schöne Mutter womöglich noch am Leben.
Es gibt einige Dinge, bei denen ich mir ganz sicher bin.
Eins geschah ganz zweifellos – ich meine, nachweislich, rekonstruierbar mithilfe von E-Mails in meinem Computer, Kalendereinträgen, geführten Telefonaten: Als wir ein paar Wochen nach Megans Party in Dublin umstrukturieren wollten, ehe wir in Polen eröffneten, empfahl ich Seán, Seáns Beratungsfirma. Ich tat es, ohne zu zögern, denn für diese Aufgabe war er eindeutig am besten geeignet.
Das alles ist gewiss.
Etwas weniger gewiss ist die Tatsache, dass Conor und ich eine Weile lang, vielleicht zur selben Zeit, in unserem sanktionierten – gar gesegneten – Ehebett ausschweifenden und unfreundlichen Sex hatten.
Doch was Conor anbelangt, kann ich wirklich nicht ins Detail gehen. Ich meine, wenn ich mir noch nicht einmal die Mühe mache, mich zu entsinnen, was wann passiert ist, werde ich jetzt wohl kaum unseren Niedergang kartografieren. Wenn Sie mich fragen: Es gibt nichts Schäbigeres als Details.
War der Sex schon damals schlecht, oder wurde er erst schlecht, nachdem ich begonnen hatte, mit Seán zu schlafen?
Schlecht ist nicht das richtige Wort.
Der Sex war, selbst für meine Verhältnisse, ein bisschen zu interessant zu dieser Zeit. Aber gleichzeitig war er nebensächlich – und vielleicht ist ja gerade das das Interessante: dass in dieser Geschichte, in der es vermeintlich darum geht, dass man mit dem einen oder dem anderen Mann schläft, unsere Körper nicht immer erwartungsgemäß mitspielten.
Aber vermutlich trifft es zu, dass wir zu dieser Zeit ernsthaft über ein Kind nachdachten – oder so taten, als ob. Eines Nachts in Galway, nach der Hochzeit eines Freundes, auf der viel getanzt wurde; ich hatte vergessen, die Pille einzustecken, und Conor sagte: »Zum Teufel damit.«
Ich weiß nicht mehr genau, wie es war, aber ich weiß noch, dass es mir nicht gefiel. Der Sex war, von allem anderen einmal abgesehen, grauenhaft; überhaupt nicht wie Sex.
Er verfickt mein Leben, dachte ich immer wieder, er verfickt mein ganzes Leben.
In These Shoes?
Rathlin Communications bringt europäische Unternehmen ins englischsprachige Internet. Darin besteht unsere Arbeit. Doch wir sorgen dafür, dass sie nach Spaß aussieht.
Unser Büro besteht aus nacktem Mauerwerk mit industriellen Oberlichtern. Die Nutzung des Raums vermittelt das Gefühl diskreter Organisation, die Illusion von Privatsphäre. Jeder, der in einem Großraumbüro arbeitet, weiß, dass es dadurch nur schlimmer wird – die Paranoia, meine ich. Das Beste an dem Ganzen ist der Pflanzenvertrag, den die ansonsten überforderte Tochter des Chefs innehat. Jeden Morgen kommt sie vorbei, um die großartigen, allgegenwärtigen Blätter zu pflegen – von der Bougainvillea, die sich an den Kunstschmiedearbeiten emporrankt, bis hin zu dem Efeu, der die Toilettenwände bedeckt. Die Dänen, die für die Sanierung des Gebäudes verantwortlich waren, haben ein Bewässerungssystem installiert, als wären es elektrische Leitungen, sodass das Büro wie ein Dickicht wirkt. Und obgleich ich solche Dinge eher zynisch betrachte (die Vorstellung, dass ein paar Pflanzen uns »grüner« machen), habe ich in einer Besprechung sogar mal für Kanarienvögel gestimmt, allerdings wurde der Antrag abgeschmettert – wegen der Vogelscheiße.
Es ist die Sorte Arbeitsplatz, wo der Aufzug groß genug ist, dass man sein Fahrrad mit nach oben bringen kann, und wo ausschließlich Fair-Trade-Kaffee gebraut wird. Vermutlich liegt eine Menge Sex in der Luft, aber wir legen es nicht darauf an. Wir alle sind ziemlich
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