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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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wir beide nicht sonderlich bedeutsam fanden. Ich meine, niemand würde Seán je unterstellen, er habe sich den Vertrag mit seinem Schwanz gesichert. Sechs Monate später verhandelte ich mit der Bank über die Möglichkeit, mich selbstständig zu machen, und die Bank schlabberte mich langsam von oben bis unten ab (wenn ich es recht bedenke, genau wie Seán Vallely and Conor Shiels). Ich bin keine außergewöhnliche Frau, aber so sah mein Leben in jenem Jahr aus – und ja, es fühlte sich erstaunlich an. Zugleich allerdings auch vermurkst. Das Gegenteil eines Nervenzusammenbruchs, wie immer man das nennen mag.
    Aber ich greife vor.
    Wir spielten das Bürospiel, so wie wir vorher das Vorstadtpärchenspiel gespielt hatten und später das Hotel-verabredungen-und-herrlich-verbotene-Lust-Spiel. Und keiner von uns sah den Zeitpunkt nahen, da all die Spiele enden würden.
    Wir hatten großen Spaß.
    Es heißt, dass Unternehmensberater immer empfehlen, dreißig Prozent abzubauen, dass sie deswegen angeheuert werden. Insofern rechneten wir nach Seáns Abschlussbericht mit Entlassungen oder Beförderungen. Die Leute fanden es aufregend, wenn er aus dem Fahrstuhl trat. Man wusste, dass er da war. Ich folgte seiner Präsenz durch Gummibaum- und Bambusgraslichtungen, lauschte auf das Klicken seiner Aktentasche, die sich zwei Schreibtische weiter öffnete, und wartete auf seine sanfte Stimme am Telefon. Vielleicht steckte er nur den Kopf um meine Trennwand aus Farnkraut, aber sein Liebeswerben war präzise und ausgefeilt. Wenn wir miteinander sprachen, war es jedes Mal, als würden wir die Lüge proben.
    »Bist du das?«, sagte er etwa, wenn ich den Hörer abnahm.
    »Ja.«
    Ich hatte noch nie eine Affäre gehabt. Mir war nicht klar, wie sexy es ist, es heimlich zu tun. Verstohlenheit war alles.
    »Sitzt du am Schreibtisch?«
    »Was glaubst du denn?«
    Ich konnte seine Bewegungen hören, ein paar Meter entfernt, sein Murmeln, aber seine tatsächlichen Worte waren ganz nah, beinahe warm an meinem Ohr.
    »Viel zu tun?«
    »Im Moment schon…«
    »Was machst du gerade?«
    »Nun, ich rede mit dir.«
    Die Intimität zwischen uns war so förmlich, so vollkommen erotisch.
    »Ich habe mir gedacht, das könnten wir besser beim Mittagessen tun.«
    »Wunderbar.«
    Wohlgemerkt, das Ganze hatte auch etwas von Schlüsselgeklimper; man konnte sich vorstellen, wie er stürmisch in seine Hosentasche griff und nach Kleingeld tastete. Das Ganze hatte verblüffende Ähnlichkeit mit einer Farce. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Leute um uns herum wussten, was vor sich ging – vermutlich waren alle im Bilde und ungeheuer belustigt. Aber auch wir waren ziemlich belustigt – ich meine, abgesehen von der Brunft, von dem flüchtigen, aber heftigen Gedanken daran, der uns (ich muss es zugeben) von Zeit zu Zeit überfiel, fanden wir die Vorstellung leicht komisch: die Vorstellung, dass wir ausnahmsweise einmal ungestraft davonkommen mochten. Und auf diese Weise überwanden wir unsere Zweifel – denn beide hatten wir große Zweifel. Als es einige Wochen später dazu kam, dass wir uns gegenseitig auszogen, weinten wir nicht oder schworen einander unsterbliche Liebe oder fielen vor einem Aktenschrank übereinander her, sondern lachten nur – warum auch nicht? Wir lachten, als wir uns küssten, und wir lachten über jeden Knopf und jeden widerspenstigen Reißverschluss, und es gab nur noch Gier und Wiedererkennen und Entzücken.
    Zwischendurch sah ich ihn an der Kaffeemaschine, und die Schönheit seiner Krawatte stieß mich nicht ab. Sogar sein Füllfederhalter gefiel mir irgendwann. Ich war die ganze Zeit bei ihm. Er spürte meine Gegenwart – ich ging ihm unter die Haut. Wenn er sich mit der Hand auf die Innenseite seines Oberschenkels klopfte. Wenn er sich auf dem Stuhl zurücklehnte und sich zum Trost oder zur Belohnung die Brustwarze rieb. Als er sah, dass ich es bemerkte, hörte er auf.
    Oh, das Spiel. Das Spiel.
    Die kleinen Aufwallungen von Ärger, von Verachtung: seine, meine. Ist es das, was du willst?
    Wenn Seán nicht so ein Taktierer wäre, hätte sich die Sache vielleicht schon im Vorfeld erledigt, aber er wusste, was ihm Genuss verschaffte – mehr als ich, das muss man sagen. Er wusste, wann es nötig war, den Hörer aufzulegen. Nach Hause zu gehen. Sich abzuwenden.
    Kein Wunder, dass ich besessen war.
    Fünf Wochen lang gingen wir jeden Freitagmittag gemeinsam essen: unsere +Einsatznachbesprechung. Wir gingen ins La Stampa – vornehm,

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