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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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waren sie alle.
    »Manchmal«, antwortete sie.
    »Oder deine Mama?«
    »Wenn ich einen Haarglätter hätte, würden sie mir bis zum Rücken reichen.«
    »Nun ja«, sagte ich. Womit ich meinte: »Das hat noch Zeit.«
    »Manchmal macht es auch mein Papa«, sagte sie. Aber das war mir zu intim, und ich musste von ihr ablassen.
    Nach dem Kuchen und den Kerzen holte ich meinen iPod heraus und fand mich plötzlich von laut kreischenden Kids umringt, die Justin Timberlake verlangten.
    »Wartet«, sagte ich und steckte Evie den weißen Stöpsel des Kopfhörers ins Ohr. Sobald die Musik ertönte, rannten sie davon, grapschten nach dem anderen Stöpsel, wechselten die Tracks, drehten an den Einstellungen.
    »Hey, hey, hey!«, sagte Fiona, bevor sie vom Klang der Türglocke abgelenkt wurde.
    Die Party war vorüber. Ich hielt mich im Hintergrund, während der Reihe nach die Eltern kamen und die Kinder weggerufen wurden. Imitten des Aufruhrs versetzte mir der Klang seiner Stimme im Hausflur einen unerwarteten Schlag, und ich wandte mich um und sammelte am anderen Ende des Zimmers Geschenkpapier ein.
    »Evie!«
    Er stand in der Tür. Als es kaum noch etwas aufzuheben gab, spürte ich, dass Evie neben mir stand, etwas zu nah, wie Kinder es oft tun.
    »Gib ihn jetzt zurück«, sagte Seáns Stimme, dabei war sie längst dabei, wickelte die Kabel um den iPod und streckte ihn mir entgegen.
    »Danke, Gina«, sagte sie.
    Gina, schau einer an.
    »Gern geschehen«, sagte ich.
    »Artiges Mädchen.«
    Seáns kühler Ton machte deutlich, was er eigentlich sagen wollte. Er wollte sagen: »Bitte halte dich von meinem Kind fern.« Und das war höchst unfair. So unfair, dass ich mich umdrehte und ihm in die Augen blickte.
    »Oh, hallo«, sagte er.
    Er sah genauso aus wie immer.
    »Komm jetzt«, sagte er und schob Evie durch die Tür. Seine Schroffheit war frappierend. Aber er zögerte doch und wandte sich kurz um, und der Blick, den er mir zuwarf, war so sprachlos, so voller Dinge, die ich nicht fassen konnte, dass ich ihm beinahe verzieh.
     
    Ich versuchte, die Sache nicht an mich heranzulassen, und scheiterte. Als der letzte kleine Gast gegangen und der Müllbeutel mit Geschenkpapier und ungegessener Lasagne gefüllt war, traf mich der Gedanke an ihn – sein Vorhandensein – wie eine ferne Katastrophe in der Brust. Irgendetwas in mir knickte um oder zerbrach. Und ich wusste nicht, wie groß der Schaden war.
    Als ich die schwere Karaffe anhob, die Fiona für Saft verwendete, erinnerten sich meine Hände an die Spannweite seiner festen Taille unter mir, in jener Nacht in Montreux. Was hatte er noch gleich gesagt? »Du hast eine wunderbare Haut.« Damals hatte es fast wie eine Allzweckbehauptung geklungen. »So zart.« Warum mussten Männer sich immer selbst überzeugen? Warum mussten sie dich besitzen und zugleich erfinden?
    Das fragte ich mich ziemlich blöde, während ich, die dicke Glaskaraffe in der Hand, auf dem neuen Kalksteinfußboden in Fionas Wohnküche in Enniskerry stand (der alte Terrakottaboden war anscheinend »grundverkehrt« gewesen). Ich fragte mich, ob Männer, wenn man die Augen schloss, nicht alle gleich waren. Und gab mir zur Antwort, dass der Unterschied gewaltig war. Wenn man die Augen geschlossen hatte, gab es keinen größeren Unterschied als den zwischen zwei Männern. Und in meiner Vorstellung ließ ich die Karaffe fallen und war darüber zutiefst erschüttert. Fiona belud den Geschirrspüler. Joan nahm die Teller wieder heraus und spülte sie unter dem Wasserhahn ab. Megan und Jack waren verschwunden. Ich konnte noch immer die Karaffe in meinen Händen spüren: dickes, mundgeblasenes Glas mit kobaltblauen Wirbeln im Boden. So eine schöne Karaffe. Dann ließ ich sie los.
     
    Offenbar hatte sie Anfälle. Das erzählte mir Fiona, nachdem sie die letzten Glasscherben entfernt hatte, nicht nur mit dem Besen, sondern auch noch mit dem Staubsauger, denn ihr ging es weniger um die Karaffe als um die Gefahr für die bloßen Füße ihrer Kinder. Evie, sagte sie, habe Anfälle. Zwar hatte Fiona selbst nie einen miterlebt, doch ein paar Jahre lang waren sie alle in höchster Alarmbereitschaft gewesen. Die Mutter des Kindes war schon ganz verzweifelt, hatte alles ausprobiert, von Spezialisten bis hin zu – was weiß ich – homöopathischen Magneten.
    »Auf mich hat sie einen ganz normalen Eindruck gemacht«, sagte ich.
    »Inzwischen geht es ihr gut«, sagte Fiona. »Ich glaube, es geht ihr gut.«
    »Sie ist eine komische

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